Schwur des Blutes
Sam öffnete die Tür und stieg aus. Nach dem Zuschlagen hielt sie inne und sah dem davonfahrenden Jeep nach. Sie schüttelte resigniert den Kopf. Amy schien dem Mann zu vertrauen, als würde sie ihn kennen. Sie war gute sechs Jahre älter als sie und wusste durch ihren Job als Reporterin mit Typen jeglicher Art umzugehen. Da brauchte sie sich wohl keine Sorgen zu machen. Ihr Blick streifte den leeren Stellplatz und sie seufzte. Auch falls sie ihren neuen Grand Cherokee nie wiedersehen würde, ihr war sowieso alles egal.
Sam holte einen Ersatzschlüssel unter der Sitzbank des Motorbootes hervor, das neben ihrem Haus dümpelte, schloss auf und entsicherte die Alarmanlage. Auf dem Weg durch die Küche ließ sie ihre verdreckten Kleidungsstücke fallen und wusch sich im Bad die Tarnfarbe aus dem Gesicht. Sie tippte auf eine Zierleiste, die eine Fernbedienung darstellte und Metallicas Nothing Else Matters erfüllte den großflächigen, gefliesten Raum sowie ihr Herz. Bereits beim ersten Satz, der davon sprach, dass jemand einem so nah sein kann, dass es nicht von Bedeutung ist, wie weit entfernt er ist, zitterte ihre Unterlippe. Mit geschlossenen Augen setzte sie sich auf den breiten Wannenrand, bis sich der Whirlpool mit dampfendem Wasser gefüllt hatte. Sie strich über das silberne Etikett der Flasche und ergab sich Gentleman Jack .
„Auf dich, Chris.“ Ein Geschenk von ihm zum Abschluss des Sponsorenvertrages mit The North Face . Der Deal mit der großen Outdoor-Bekleidungsfirma hatte den Ausschlag gegeben, ihr Geschäft in München zu schließen und sie zurück nach San Francisco geführt – ihrer beider Geburtsstadt. Vor nicht einmal zwei Jahren. Sam setzte an und ließ den weichen Bourbon ihre brennende Kehle hinablaufen, so lange, wie sie benötigte, bis zu Chris’ Todestag zurückzuzählen. 28 Tage.
Aufkeuchend versank sie bis zum Haaransatz im heißen Nass. Sie streckte ihre steifen Glieder und legte den Nacken auf die flexible Stütze. Der gedämpfte Sternenhimmel erinnerte sie daran, wie Chris die Lämpchen mühsam in das Holzpaneel gebastelt hatte. Sie kniff die Lider zusammen. Verdammt!
Der Alkohol kribbelte durch die Blutbahn und trieb Sehnsüchte in die empfindsamsten Stellen. Sie ignorierte das Gefühl, das nach mehr von etwas anderem schrie, nur, um nicht allein zu sein, und trank lieber. Seit dem Tod ihres Bruders war viel passiert. Sie hatte den Laden schließen müssen. Ob sich die Tore von ‚ExtremE‘ jemals wieder öffnen würden, wusste sie nicht. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Momentan dürstete es sie nur nach einem: Nach Rache. Die Wiederherstellung ihres guten Rufes folgte gleich darauf. Dabei konnte sie keinen der nervigen Sporthelden in ihrer Nähe gebrauchen, die den absoluten Nervenkitzel suchten. Gefühlt frönte jeder fünfte Extremsportler, der in ihrem Geschäft eine Tour buchte, ein Einzelgängerdasein mit äußerst gewaltigem Selbstwertgefühl. Spätestens, wenn sie bei einer Kletterpartie, einem Tieftauchgang oder auf einer Motorcrossroute mitzuhalten vermochte, blitzte neben dem aufgeblasenen Orang-Utan-Ego der Paarungswille auf. Eine Frau, die ihrem Naturell ebenbürtig war, schien sie bis zum Anschlag aufzugeilen.
Ihr kamen die Tränen und sie unternahm schnell einen Tauchgang in der Wanne. Es hätte sie und nicht Chris erwischen sollen. Sie lebte in den Tag hinein, tat, was ihr Spaß machte, musste sich niemals um Geld sorgen. Chris verwaltete die Konten, sprach mit den Sponsoren, säuberte den algenverkrusteten Bootsrumpf, kündigte der langfingrigen Haushälterin. Sie hing lieber senkrecht am Fels, betrieb tagelang Canyoning, untersuchte Wracks am Meeresgrund oder bastelte an ihren Erfindungen, als dass sie sich hinter der Kasse von ‚ExtremE‘ die Beine in den Bauch stand und Prospekte verteilte.
Nach Luft schnappend tauchte sie auf. Vor Schreck blieb ihr fast das Herz stehen. Zum Schreien hatte sie noch nicht genügend Atem gefasst.
„Samantha, ich bin’s.“
Der Schokoladenmann. Klar hatte sie ihn erkannt. Der Schlammüberzug war nicht zu übersehen. Was machte er in ihrem Bad? Er hatte sich bei ihrem Auftauchen sofort umgedreht, hielt das Gesicht starr zur Tür. Sein Kreuz wirkte im Türrahmen gewaltig. Ihr Zeigefinger glitt zu der Fernbedienung, mit der sie eine Direktschaltung zur Polizei aktivieren konnte.
„Nicht. Ich gehe schon.“
Ihr Finger ruhte über dem Knopf. „Was willst du hier?“ Himmel, jetzt hatte Rod Stewart auch noch einen Schwips. Ein
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