Schwur des Blutes
Ehe er aufzuspringen vermochte, erhob sich um ihn herum ein schweres Fangnetz aus dem Matsch. Timothy knurrte und setzte zum rettenden Sprung an. Ein weiterer Minipfeil traf ihn am Hals und ließ ihn wie eine Statue nach vorn kippen. Das Netz schnürte sich über ihm zusammen, sperrte ihn ein. Mit einem Ruck ging es aufwärts. Er wollte die Stahlseile zerreißen, doch sie hielten seiner Kraft stand. Tannenzweige peitschten ihm auf dem Weg empor ins Gesicht. Timothy brüllte vor Kraftanstrengung, als er ein Knie in eines der Quadrate im Geflecht stemmte und mit den Fäusten auf der anderen Seite eine Masche entzweiriss. Ein Zischen wie von einer Schlange kündigte Strom in dem Stahlnetz an. Ein schmerzhafter Biss schockte ihn. Er war am Ende. Sein Körper gehorchte nicht mehr. Keuchend erschlaffte er und versank in Dunkelheit.
~~
Samantha Wolters sicherte die Betäubungspistole und steckte sie in das Holster zurück. Euphorie riss sie in schwindelnde Höhen. Sie erhob sich aus ihrem Versteck im Dickicht und schaltete das Pheromon-Spray ab. Unglaublich! Es hatte tatsächlich geklappt. Ihr Versuch war erfolgreich.
Sie richtete den Blick nach oben, während sie sich wie eine Katze vorpirschte. Zwei Dosen Hellabrunner Mischung hatte sie verschossen, dennoch blieb sie wachsam. Bei Werwölfen durfte man sich niemals sicher sein. Sie verharrte fast unterhalb des großen Stahlnetzes, das Äste, Blätter und Steine mitgerissen hatte. Dunkelbraune Humusmasse bedeckte den gewaltigen Körper, tropfte zäh von der zusammengesunkenen und bewegungslosen Gestalt. Eine Wolke schlechten Geruchs hatte sich wie eine Giftgasbombe ausgebreitet, als das Netz sich durch die spezielle Seilwinde blitzschnell emporgehoben hatte.
„Jeez“, flüsterte sie, beinahe atemlos vor Aufregung. Das Anlocken mit den Lockstoffen hatte wahrlich gut funktioniert. Sie konnte sich gleich beim nächsten Mal auf die Jagd nach dem eigentlichen Werwolf begeben.
Hinter ihr knackte es im Gebüsch. Samantha wirbelte mit einer Hand am Pistolenholster herum, obwohl sie ahnte, wer auf sie zukam. Amy Evans, die Reporterin, die den verhängnisvollen Artikel über sie und ihren Bruder Chris geschrieben hatte, betrat mit skeptischer Miene die schummrige Lichtung. Verschmierte Tarnfarbe im Gesicht ließ sie samt ihrer grün-braunen Kleidung mit dem Dickicht verschmelzen. Ihre kaffeebraune Mähne hatte sie ebenso wie Sam in einem langen Zopf gebändigt.
„Franziska“, entfuhr es Amy aufgeregt.
„Sam“, korrigierte sie. Sie fand es furchtbar, wenn man sie mit ihrem ersten Vornamen ansprach, den Amy auch noch in dem Artikel verwendet hatte. Inzwischen kannten sie sich besser, dennoch rutschte ihr hin und wieder noch der verhasste Name über die Lippen.
Sam hielt es nicht mehr aus und deutete nach oben. „Wir haben einen!“
„Sicher?“, fragte Amy.
„Was?“ Sam starrte wie gebannt auf den Inhalt des Netzes über ihnen.
„Hm?“
„Himmel, Amy.“ Sam hastete in einem Bogen auf die gegenüberliegende Seite, um zu sehen, was ihre Freundin sah. „Was denn? Das ist einer. Ein Mann. Ein großer. War doch klar, dass er sich zurückverwandelt. Oder etwa nicht?“
Amys Mimik verriet rein gar nichts. Allmählich ärgerte sich Sam über sie. Normalerweise verschlug der Journalistin nichts so schnell die Sprache.
„Das ist kein Werwolf.“
Sam stellte sich auf die Zehenspitzen, spähte hinauf, konnte dennoch nicht genug erkennen, dazu hing er zu hoch. Sie fackelte nicht lange, spurtete durch das Gebüsch zum Jeep und ließ über die Seilwinde das Stahlseil abrollen. Sie wunderte sich, weshalb Amy nicht lautstark protestierte, dass sie sich den Fang von Nahem anzusehen gedachte. Bei allem, was sie ihr anvertraut hatte, hatte Amy energisch auf äußerste Schutzmaßnahmen bestanden. Und wenn sie es sich recht überlegte, hatte Amy immer versucht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Sie stoppte die Winde und lief zurück zu Amy und dem über dem Schlammloch schwebenden Fangnetz. Endlich erhielt sie die Möglichkeit, den Mann eingehend zu betrachten. Gottlob kauerte der Bewusstlose mit dem Gesicht nach oben. Auch wenn sie vorhatte, ein Leben zu zerstören, wollte sie nichtsdestotrotz nur einen Bestimmten lebend fangen, ausquetschen und dann der Wissenschaft zum Fraß vorwerfen.
Den gewaltigen Körper des Gefangenen umgab eine dicke Morastschicht. Zum Glück hatte das System einwandfrei gearbeitet, sonst wäre der Kerl noch im Schlamm ersoffen, der das Netz getarnt hatte.
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