Schwur des Blutes
Ihre Sicht klärte sich mit jedem sauerstoffbeladenen Zug. Als sie neben Amy ankam, sah sie nur noch rot. So schnell es ihre zitternden Glieder zuließen, riss sich Sam den Parka und den Pullover vom Leib und presste den Stoff auf Amys linken Oberarm, der von oben nach unten aufgerissen schien. Ihr Pulli sog sich voll wie ein dürstender Schwamm. Amys Tarnjacke hing in Fetzen. Sam streifte sie ab und legte fieberhaft einen Druckverband an. Amy stöhnte, vor Schmerz schlugen ihre Zähne aufeinander. Sam suchte Augenkontakt, doch Amys Blick mit den geweiteten Pupillen richtete sich über ihre Schulter hinweg an ihr vorbei. Sams Herzschlag setzte aus. Sie wirbelte herum. Bereit, zu kämpfen.
Die drei Werwölfe drehten ihnen die Rücken zu, umringten das in der Luft baumelnde Stahlnetz, in dem der Mann mit vor dem Körper verschränkten Armen stand. Er war erwacht und hatte die Aufmerksamkeit der Wölfe auf sich gezogen. Himmel, was hatte sie bloß angerichtet? Hieß es nicht immer, dass Werwölfe und Vampire sich abgrundtief hassten? Sam versuchte, ihre wirren Gedanken geradeaus zu lenken. Wo war die Betäubungspistole hingefallen? Sollte sie zum Wagen sprinten und das Netz herunterlassen? Gott, die Bestien würden ihn in Stücke reißen und als Vorspeise verschlingen. Die Pistole musste im Schlamm versunken sein. Sie linste zu ihrem Versteck hinter dem Dickicht. Ihre Notfalltasche lag jenseits ihrer Reichweite. Sie drückte fester auf Amys Arterie.
Der Vampir räusperte sich und zog alle Blicke auf sich. Nur die weißen Fänge leuchteten im fahlen Licht, ansonsten überzog eine dunkelbraune Schlammschicht jeden mächtigen Teil seines Körpers. In seinen blauen Augen loderte ein gefährliches Feuer, doch seine tiefe Stimme klang ruhig, beinahe hypnotisch.
„Seit wann haltet ihr euch in der Nähe der Stadt auf?“
„Das geht dich nichts an.“
Der Wolf, der Sam vorhin gepackt hatte, sprach. Seinen dröhnenden Bass würde sie unter Millionen erkennen. Die Kälteschauder ließen sich nicht unterdrücken, ihr Puls raste vor Anspannung. Wie konnte sie Amy bloß unbemerkt fortschaffen? Ihr Blut sickerte stetig durch den Stoff.
„Ihr stört meinen Abend.“
Der Riese schüttelte sein langes Fell, schien irritiert. Er streckte sich, garantiert, um noch imposanter zu wirken. Er war schätzungsweise um einen Kopf größer als der Vampir, der sie bereits weit überragen musste. Sam hob die Brauen, was dem Mann im Netz nicht entging. Sofort wirbelten die drei Werwölfe synchron herum. Sam unterdrückte ein Schlucken. Davonschleichen war unmöglich.
„Es wäre unserem Frieden nicht zuträglich, wenn ihr mir meinen Spaß mit ihnen verderbt, indem ihr sie umbringt.“ Sein gleichgültiger, beinahe amüsierter Bariton veränderte sich zu einem gefährlichen Zischen. „Kaltes Blut schmeckt nicht.“
Sam hoffte inständig, dass er einen Versuch unternahm, sie zu retten. Allerdings hörte sich dies nicht so an und darauf verlassen hätte sie sich auch nicht. Ihr Gehirn weigerte sich vehement, eine Lösung zu ihrer Rettung auszuspucken. Sie hatte gesehen, welche unglaublichen Kräfte in ihm schlummerten. Er hatte eine Stahlseilmasche zerrissen – nach der zweiten Betäubung. Vielleicht wollte er sie aussaugen und sie setzte gerade auf den Beelzebub, um die Teufel zu vertreiben. Jeez! Sam schob sich vor Amy, versuchte, sie und den blutenden Arm vor den vier Augenpaaren abzuschirmen. Sie sog scharf die Luft ein, als könnte sie den metallischen Geruch von den Wesen wegatmen. Dämlich, selten dämlich. Bloß, was tun? Shit, das hatte ganz anders ablaufen sollen.
„Es gibt keine Wölfin?“
„Nein.“ Der Vampir lächelte.
Sams Blick blieb gebannt an der Veränderung seines Gesichts hängen. Obwohl sie kaum die Konturen zu erkennen vermochte, zog es sie magisch an. Ihr Gespür sagte, dass die Werwölfe die Gefahr bedeuteten, nicht er. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich ins Bedrohliche, seine Augen warfen eisblaue Strahlen wie Scheinwerfer auf die riesigen Pelzwesen, die in Kampfstellung gingen. Ein dumpfes Knurren erfüllte die Luft wie entferntes Donnergrollen. Mutter Erde schien zu erzittern. Lähmende Schwäche eroberte ihren Körper.
Sam erwachte aus ihrer entrückten Welt. Himmel Sakrament, nun war es genug! Es kostete sie ihre gesamte Überwindung, sich von der Szenerie abzuwenden und den vier Bestien ihren Rücken preiszugeben. Sollten sie ihr meuchlings die Rübe abreißen, sie musste handeln. Sie zog ihren Gürtel aus der
Weitere Kostenlose Bücher