Science Fiction Almanach 1982
hatte bis heute – kommen Sie!“
Und er nahm meinen Arm.
2
Wohin ich den rätselhaften Menschen führte, als das Dunkel des hereinbrechenden Abends uns überfiel?
„In die Abendschule!“ In jene schon erwähnte kleine Vereinigung gleichgesinnter Menschen, die allwöchentlich einmal in einem Erholungslokal im Norden Berlins sich zusammenfand und deren Teilnehmer mancher meiner Leser wohl auch dem Namen nach noch kennt: den alten Herrn Oberlehrer und seine beiden Töchter, von denen die eine allerdings seitdem Frau Dr. Mathieu geworden ist, Dr. Mathieu, Großhändler Ludwig Deckers, Rentier Fennmüller und – meine Wenigkeit.
Hierher, wo alle Fachsimpelei und aller Alltagsklatsch verbannt war, brachte ich Adam Perennius. Auf meinen Rat wartete er einen Augenblick vor der Tür, indes ich eintrat, um sein Erscheinen ein wenig vorzubereiten.
Die Abendschule war vollzählig, bis auf Großhändler Deckers, der durch den Besuch seiner verheirateten Tochter noch ein Weilchen verhindert war, aber sein und ihr Erscheinen durch einen Boten hatte melden lassen.
„Guten Abend, meine hochverehrten Herrschaften“, sagte ich, die Anwesenden der Reihe nach begrüßend.
„Nanu“, rief Fennmüller launig wie immer, „Sie machen ja heute ein solches Extra-Gesicht! Haben Sie gut soupiert? Haben Sie Maikäfersuppe gegessen?“
„– Nein, nein, Herr Fennmüller! Sie wissen ja, der kulinarische Feinschmecker von uns sind Sie. – Aber ein ‚Extra-Gesicht’ darf ich wohl machen. Wissen Sie, wen ich gesehen und gesprochen habe?“
„Einen Marsbewohner vielleicht?“ neckte die junge Frau Dr. Mathieu, die meine Schwärmerei für diesen rätselhaften Planeten kannte.
„Nein, noch nicht – vielleicht erscheint mir der auch einmal! Aber den geheimnisvollen Menschen habe ich getroffen, der aus dem vorvorigen Jahrhundert übrig geblieben ist als ein Zeitgenosse Friedrichs des Großen –“
„Sind Sie auch schon von ihm angesteckt, daß Sie seine Phantasien für bare Münze nehmen?“ sagte Fennmüller halb lachend, halb ärgerlich. „Was man nicht alles erlebt, selbst an seinen Bekannten – wenn man alt genug wird!“ –
„Welchen Eindruck hat der Unglückliche auf Sie gemacht?“ fragte der Herr Oberlehrer. „Halten Sie ihn, wie unsere Ärzte, für eine geistige Abnormität?“
„Herr Oberlehrer, ich bin kein Psychiater – aber nach meinem Dafürhalten ist der Mann geistig völlig gesund –“
„Dann, meine Herrschaften, bleibt also nur die zweite Annahme übrig, ihn für einen vollendeten Komödianten zu halten“, flocht Fennmüller ein, „der seine Rolle in der Maske von ‚Anno dazumal’ recht geschickt spielt –“
„Ja, Herr Fennmüller“, entgegnete ich, „recht geschickt, so geschickt, daß er sie nicht spielt, sondern lebt !“
„Wie meinen Sie das?“
„Ich meine – und nun wappnen Sie Ihr Herz gegen Überraschung! – der Mann ist das, was er scheint! Er ist ein Beispiel einer Lebenskraft, die anderthalb Jahrhunderte ungeschwächt überdauert hat –“
Die Anwesenden sahen mich mit sprachlosem Erstaunen an – Fennmüller hatte sich erhoben –
Nur Dr. Mathieu sagte ruhig:
„Ich glaube Ihnen!“
Dann sich zu den Übrigen wendend:
„Meine Herrschaften, ebensoviel Wunderglauben er von Ihnen verlangt, verlangen auch die wissenschaftlichen Kapazitäten, die ein derartiges psycho-physiologisches Rätsel Ihnen einfach als einen besonderen Fall einer bloßen Monomanie zu erklären versuchen.“
„Warum haben Sie uns den rätselhaften Menschen nicht mit in die, Abendschule’ gebracht?“ fragte der Herr Oberlehrer ein wenig schalkhaft. „Ich meine, die ‚Abendschüler’ samt ihrem ‚Lehrer 4 sind sämtlich Menschen, die eine Ausnahme von der landläufigen Spezies Homo sapiens machen. Vielleicht hätte er sich in unserm immer hellen, immer heitern Kreise, fern von dem hastenden Getriebe der Weltstadt, wohl gefühlt –“
„Ich danke Ihnen für dies gute Wort, Herr Oberlehrer“, sagte ich hierauf und – öffnete die Tür. –
Aller Augen richteten sich einen Moment starr auf den Erschienenen. –
Aber dann geschah alles, wie ich es gehofft und gewünscht: man nahm den Armen, Einsamen, Rätselhaften freundlich auf; namentlich der Herr Oberlehrer, der älteste von uns, begrüßte ihn sehr herzlich und lud ihn ein, neben ihm Platz zu nehmen.
Und nun saß er unter uns. Hätte er nicht seine altmodische Kleidung getragen und den steifen Zopf, so hätte sein frisches,
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