Scriptum
Ton, als sie in die Kamera blickte.
«Ich weiß nicht, wann das Metropolitan Museum das letzte Mal so viele Stars willkommen heißen durfte wie heute. Jedenfalls
nicht mehr seit der Maya-Ausstellung, und die ist schon ein paar Jahre her», fing sie an, als ein wohlbeleibter Mann mittleren
Alters mit einer großen, hageren Frau in knapp sitzendem blauem Abendkleid, das entschieden zu jugendlich für sie war, aus
einer Limousine stieg. «Und hier kommt der Bürgermeister mit seiner reizenden Gattin», sprudelte die Reporterin aufgeregt
los, «unsere ungekrönte Königsfamilie und selbstverständlich verspätet, wie es sich gehört.»
Dann fuhr sie mit wieder ernster Miene fort. «Viele der hier gezeigten Objekte sind der Öffentlichkeit noch niemals zugänglich
gemacht worden, nirgends. Jahrhundertelang waren sie in den Gewölben des Vatikans weggeschlossen und –»
In dem Moment wurde sie durch plötzliche Pfiffe und Zurufe aus der Menschenmenge abgelenkt. Sie brach mitten im Satz ab und
blickte irritiert von der Kamera weg zu dem lauter werdenden Tumult hinüber.
Und da sah sie die Reiter.
Es waren prachtvolle Pferde, imposante Grauschimmel und Füchse mit seidigen schwarzen Schweifen und Mähnen. Der eigentliche
Grund für die Aufregung der Zuschauermenge aber waren die Reiter.
Die vier Seite an Seite reitenden Männer trugen alle die gleiche mittelalterliche Rüstung: visierbewehrte Helme, Kettenpanzer
und gehämmerte Beinschienen über schwarzen Wämsern und gesteppten Beinlingen. Sie sahen aus, als wären sie geradewegs einer
Zeitmaschine entsprungen. Erhöht wurde ihr dramatischer Auftritt noch durch lange Schwerter, die ihnen in Scheiden seitlich
von der Taille herabhingen. Am auffälligsten aber waren die langen weißen Umhänge, die sie über ihrer Rüstung trugen: Sie
zierte ein geschweiftes blutrotes Kreuz.
Die Pferde kamen in ruhigem Trott näher.
Die Menge geriet nun völlig aus dem Häuschen, während die Ritter langsam heranritten, starr nach vorne blickend, den Trubel
um sich herum völlig ignorierend.
«Was bekommen wir denn da geboten? Sieht ganz so aus, als würden das Metropolitan Museum und der Vatikan heute Abend wirklich
alle Register ziehen! Sagenhaft», schwärmtedie Reporterin, die jetzt vollkommen überwältigt schien. «Hören Sie, wie begeistert die Leute sind!»
Die Pferde erreichten den Rand der Freifläche vor dem Museum, und nun taten sie etwas Merkwürdiges.
Sie blieben dort nicht stehen.
Stattdessen drehten sie sich langsam, bis sie dem Museum frontal gegenüberstanden.
Geschickt brachten die Reiter ihre Tiere dazu, den Schritt hoch auf den Gehsteig zu tun. Langsam ritten die vier Ritter weiter
über den gepflasterten Museumsvorplatz.
Feierlich erklommen sie nebeneinander hoch zu Ross die vielen Stufen der Treppe und hielten unbeirrbar auf den Eingang des
Museums zu.
KAPITEL 2
«Mama, ich muss wirklich ganz dringend», bettelte Kim.
Tess Chaykin warf ihrer Tochter einen verärgerten Blick zu. Sie, ihre Mutter Eileen und Kim hatten das Museum gerade erst
betreten, und Tess hatte gehofft, sich die umlagerten Ausstellungsstücke noch rasch ansehen zu können, bevor es mit den Ansprachen,
dem Smalltalk und all den anderen unvermeidlichen Förmlichkeiten losging. Aber das musste jetzt warten. Kim machte genau das,
was jede Neunjährige bei einem derartigen Ereignis machen würde, den denkbar ungünstigsten Zeitpunkt abpassen und dann verkünden,
dass sie ein dringendes Bedürfnis verspürte.
«Kim, also wirklich.» In dem großen Vorraum drängten sich die Menschen. Die Vorstellung, sich jetzt mit ihrer Tochter einen
Weg durchs Gewühl zur Toilette bahnen zu müssen, gefiel Tess ganz und gar nicht.
Tess’ Mutter erbarmte sich, wenn auch sichtlich ohne jede Begeisterung. «Ich begleite sie. Geh du nur schon vor.» Mit vielsagendem
Lächeln setzte sie hinzu: «Obwohl ich finde, dass es dir durchaus recht geschehen würde.»
Tess schnitt ihr eine Grimasse, schaute dann ihre Tochter an und schüttelte lächelnd den Kopf. Dem kleinen Fratz mit den strahlend
grünen Augen konnte man nie lange böse sein.
«Wir treffen uns dann in der Großen Halle wieder.» Siehob den Finger und sah Kim streng an. «Aber schön bei Oma bleiben. Ich möchte nicht, dass du in dem Trubel hier verloren gehst.»
Kim verdrehte stöhnend die Augen. Tess sah ihnen nach, bis sie im Gewühl verschwunden waren, dann wandte sie sich ab und ging
Weitere Kostenlose Bücher