Scudders Spiel
Junge.«
Um sieben Uhr dreißig war er aus dem Haus. Er hatte zuvor gefrühstückt und seinen Inspektor angerufen, um ihm zu sagen, wo er im Notfall zu erreichen wäre. Unvermeidlich bekam er den automatischen Anrufbeantworter der Geschäftsspiele, ein Videoband von irgendeiner Sekretärin, die ihn aufforderte, eine Botschaft zu hinterlassen: selbst die Spiele machten am Huppeltag zu – Vermögen blieben ungemacht, Steuerabschreibungen unabgeschrieben. Ganz fanatische Spieler mußten sich mit ihren Heimkassetten begnügen, doch waren diese wenigstens an der Realität orientiert und bis zu einem bestimmten Grad selbstprogrammierend, eine enorme Verbesserung gegenüber den alten Spielfilmen.
Er ging nicht hinauf, um sich von Emma zu verabschieden. Da er noch immer vorgab, sie nicht wecken zu wollen, wäre es nicht nett, sie zu stören. Er hatte ihr nichts von Scudder erzählt, noch von seinem Plan, die Eltern zu besuchen, um sich endgültig von ihnen zu befreien. Und erst recht nichts von dem seltsamen und für ihn faszinierenden Zusammentreffen: seinem ersten Besuch seit siebzehn Jahren. Siebzehn und siebzehn – er war jetzt vierunddreißig, und ein paar Monate nach seinem siebzehnten Geburtstag, am Huppeltag des Jahres zweitausendzweiundzwanzig, hatte er endlich das Elternhaus verlassen. Es war eine bittere Ironie gewesen, gerade an diesem Tag fortzulaufen, wenn alle anderen die Eltern besuchten oder besondere Geschenke sandten. Aber die Ironie war unbeabsichtigt gewesen, untergegangen in anderen, verzweifelteren Überlegungen …
Siebzehn und siebzehn jedoch, hier schloß sich der Kreis … Irgendwie hatte es eine Richtigkeit an sich. Aber nicht eine, über die er mit Emma hätte sprechen mögen. Tatsächlich hatte er ihr sehr wenig erzählt. Warum auch, und wozu des Aufhebens? Schließlich tat er nichts Ungewöhnliches. Alle besuchten am Huppeltag ihre Angehörigen oder schickten ihnen Geschenke. Nach CH-International entsprach dies dem Wunsch des Gründers der Gesellschaft, der weltabgeschieden auf seiner Hebrideninsel lebte. Conrad Huppel, Retter der Zivilisation …
Pete selbst hatte seine Zweifel, ob der alte Mann sich so oder so darum scherte. Als Mann der Wirtschaft glaubte er zu durchschauen, von welcher Art Conrad Huppels wahre Motive gewesen waren, damals in den halsabschneiderischen achtziger Jahren. Leistungsbewußtsein und Ehrgeiz hatten sicherlich eine Rolle gespielt, aber weit mehr das leidenschaftliche Verlangen, es vor Erreichen des vierzigsten Lebensjahres zum Milliardär zu bringen.
Huppeltage, die Wiederherstellung der Elternschaft von einer undankbaren Mühsal zu einem ehrenvollen Stand …
Nichts davon würde ihm in den Sinn gekommen sein. Noch – um ehrlich zu sein – die Rettung der Zivilisation. Damals nicht und wahrscheinlich nicht einmal heute. Wer, in Gottes Namen, sah sich als Retter der Zivilisation, außer vielleicht irgendwelche machtbesessenen Verrückten? Und Conrad Huppel war kein machtbesessener Verrückter, sondern bloß ein sanfter Mitteleuropäer mit Brille, der den Bedarf an dem Produkt erkannt und im August des Jahres 1989 das Glück gehabt hatte, in einem kleinen Laboratorium zu arbeiten, das dem Zentrum für myoelektrische Gliedmaßenrehabilitation in Roehampton bei London angeschlossen war. Sicherlich hatte er die grundlegende Idee beigesteuert, doch wäre es ihm schwergefallen, etwas daraus zu machen, hätte er nicht auf einer jener vielen unendlich langweiligen Cocktailparties Sithel Cordwainer kennengelernt und wäre er nicht hinlänglich betrunken gewesen, sich ihm anzuvertrauen.
Professor Cordwainers Fachgebiet war die männliche Fruchtbarkeit gewesen, und insbesondere die Auswirkungen bestimmter, von elektronischen Anlagen emittierten, Ultraschallwellen auf die Keimzellen. Der Zusammenhang war ihnen beiden sogleich rauschhaft klar gewesen: Huppel hatte die Elektronik gehabt, Cordwainer die Auswirkung auf die Keimzellen. Es konnte über den Martinis kein Problem gewesen sein, das eine so zu steuern, daß es das andere hervorrief. In vino veritas.
Der Rest war Mythos. Zunächst hatten sich die unvermeidlichen Verleumder eingestellt. Sie hatten Huppel ›Mister Supersex‹ genannt, und sein Gerät den teuersten Vibrator der Welt. Außerdem galt Empfängnisverhütung beim Mann allgemein als nicht durchsetzbar. Aber darum kümmerte sich CH-International. Sie schob Cordwainer, der ohnedies ein alter Wüstling war und bald darauf starb, in den Hintergrund und
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