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Scudders Spiel

Scudders Spiel

Titel: Scudders Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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beargwöhnt hatte, das Lächeln, das er nie gehabt hatte.
    Weniger ordentlich … Er dachte an die Tasse, gespült und abgetrocknet, und zu ihren fünf Gefährten an die Wand gehängt. Am Ende doch keine Mißbilligung – schierer Egoismus, das – und überhaupt nicht unheimlich. Einfach die Tat einer Frau, die, gewohnheitsmäßig ordentlich, anderes im Kopf gehabt hatte. Andere, ordentliche Dinge. Der Stuhl, der Bindfaden, die ordentlich im Schoß gefalteten Hände. Und vorher, dem leeren Fernseher gegenüber, genau in der Mitte des Sofas. Ordentlich …
    Eine entschiedene, zielstrebige Dame. Eine Dame mit Gefühl für Humor, mit einem Talent zur Selbstparodie. Aber das war vorher gewesen … eine solche Dame hätte sich niemals ordentlich niedergesetzt und sich mit Gammastrahlen zu Tode gebracht.
    Vorher, ja; aber wann?
    Vor … – o Gott, o Jesus, o Hölle auf Erden – natürlich! Vor dem speichelüberlaufenen Kinn und den rollenden Augen. Und nach diesem schändlichen, beschämenden Ereignis war die Gewohnheit der Ordnung ihre einzige Zuflucht geblieben.
    Aber das war nicht genug. Es erklärte vielleicht die Art ihres Abganges, aber nicht den Umstand selbst. Warum überhaupt, o Gott, o Jesus, o Hölle auf Erden? Scudder? Ihre schlechte Gewohnheit – doch nicht etwa Scudder? Und dennoch.
    Er ging in den Raum hinein, hob eine ihrer schlaffen, toten Hände. »Du liebtest ihn, nicht wahr?«
    Sie blickte nicht auf. Sie konnte ihn nicht hören. Niemand konnte ihn hören. Also: »Du liebtest ihn wirklich, diesen eigensinnigen, widerborstigen alten Teufel. Deshalb wolltest du, daß ich käme, ihm zu helfen. Ich wußte das die ganze Zeit. Und was habe ich getan? Ich habe ihn dir weggenommen.«
    Er küßte die Hand, legte sie sorgsam in den Schoß zurück.
    Und was hatte Scudder ihr dafür gegeben? »Ich werde dich vermissen«, hatte er zu ihr gesagt. Nur das. Vielleicht in ihren ganzen sechsunddreißig Jahren nur das. Aber Dr. Besserman hatte es gewußt. »Scudder funktioniert«, hatte er gesagt, »dank Ihrer Mutter.«
    Er blickte auf sie hinab. Du liebtest ihn … Die Worte widerten ihn plötzlich an. Scudder war ihr die Zärtlichkeit schuldig geblieben, und sechsunddreißig Jahre Liebe waren ein seltenes Geschenk, gleichgültig, wie beklagenswert sie ausgedrückt worden war. Aber es war nicht wirklich vorzuziehen, daß sie Scudder zuliebe gegen ihn Front gemacht hatte und nicht ihm zuliebe gegen Scudder. Warum, in Gottes Namen, mußte überhaupt jemand gegen jemand Front machen? Oben in der Küche gab die Kaffeemaschine, die er vor einer Ewigkeit in Betrieb gesetzt hatte, ein vernehmliches Klicken von sich, als sie sich zum soundsovielten Mal wieder einschaltete. Er ging hinauf, nahm eine Tasse vom Haken und füllte sie. Dann hielt er die Tasse in der Hand und starrte sie an: Kaffeetrinken war, was man tat … Er schüttete ihn ins Spülbecken.
    Dann stützte er sich mit beiden Armen auf den Tisch und weinte.
    Auch sie, Scudder und Maudie, hatten ihre Spiele gehabt. Streitspiele, Hackspiele – warum, um Gottes willen? Er wußte die Antwort darauf, weil er seine Geschichte kannte, das war nicht sehr hilfreich. Sie waren Kinder der achtziger Jahre gewesen, Umarme heute ein Kind, streitend und aufeinander herumhackend, und hatten seitdem nichts dazugelernt.
    Er hob den Kopf. Er hatte das Gefühl, daß die Leute heutzutage weniger stritten und aufeinander herumhackten: sie hatten statt dessen ihre Spiele. Er fühlte den Blick seiner Mutter auf sich, wie sie ihn von ihrem Stuhl angestarrt hatte, aber es machte ihm nichts aus – die Goldmakrelen hinter ihr trugen in ihren flachen, gallertigen Augen einen nicht weniger vorwurfsvollen Ausdruck zur Schau. Vorwürfe, ausgestoßen und eingesteckt, gehörten zu den Dingen, womit die Lebenden ihre Substanz verschwendeten. Die Toten waren weiser. Die Toten waren tot.
    Auch Gesten waren für die Lebenden. Gesten, Beschlüsse, Reue. Graces Verderbnis, seine eigene Verderbnis. Spiele. Und der arme Conrad Huppel, Retter der Zivilisation, ein Milliardär vor seinem vierzigsten Jahr, war Oberspielleiter. Er fühlte in seiner Jacke nach der Tasche für den Huppelsender – die meisten Jacken hatten solche Taschen, man konnte nie wissen, wann einem der Huppelsender zustatten kommen mochte. Er nahm das kleine Gerät heraus, legte es auf den Hauklotz, ergriff den Fleischklopfer und zerschlug es in kleine Stücke. Es zerbrach nicht leicht: zuerst wurde das stabile Gehäuse nur eingebeult,

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