SdG 04 - Die eisige Zeit
sträubt.«
»Was soll das heißen?«
»Ihr seid sehr leicht wütend zu machen, mein Geliebter. Wenn Ihr ein zitterndes Blatt auf einem breiten, tiefen Fluss seid, dann entspannt Euch und lasst Euch von der Strömung treiben. Das hat bei mir immer geklappt, das kann ich Euch versichern. Und was das Manipulieren angeht – glaubt Ihr wirklich, ich habe die Macht, einen T’lan Imass zu lenken? Die Seguleh sind … äh … einzigartig; aber da wir im Gleichschritt unterwegs sind, kommt die Idee einer Zwangsherrschaft gar nicht erst auf.«
»Vielleicht jetzt noch nicht, Lady. Aber sie wird aufkommen.«
Sie zuckte die Schultern. »Und schließlich – ich habe keine Kontrolle über Garath oder Baaljagg. Das kann ich Euch versichern.«
Er bleckte die Zähne. »Dann bleibe also nur noch ich.«
Sie streckte eine schlanke Hand aus, legte sie leicht auf seinen Arm. »Was das betrifft, mein Schatz, bin ich nur eine Frau.«
Er schüttelte ihre Hand ab. »Bei Eurer Anmut ist Zauberei im Spiel, Lady Missgunst. Versucht nicht, mir etwas anderes zu erzählen.«
»Zauberei? Nun ja, vermutlich könnte man es so nennen. Aber doch auch Geheimnis, oder? Wunder und Aufregung, Hoffnung und Möglichkeiten. Verlangen, mein Schatz, ist eine höchst verführerische Art von Magie. Und es ist eine, gegen die ich selbst nicht immun bin, mein Liebling …«
Sie beugte sich näher zu ihm, die Augen halb geschlossen. »Ich werde Euch meinen Kuss nicht aufzwingen, Toc der Jüngere, seht Ihr das nicht? Ihr müsst selbst die Wahl treffen, sonst werdet Ihr tatsächlich versklavt. Und, was sagt Ihr?«
»Es wird Zeit«, erwiderte er und stand auf. »Offensichtlich werde ich keine einzige ehrliche Antwort von Euch bekommen.«
»Ich habe sie Euch gerade gegeben!«, entgegnete sie und stand ebenfalls auf.
»Genug«, sagte er und packte seine Ausrüstung zusammen. »Ich habe aufgehört, zu spielen, Lady Missgunst. Sucht Euch jemand anderen zum Spielen.«
»Oh, ich kann Euch nicht leiden, wenn Ihr so seid!«
»Schmollt nur«, murmelte er und schickte sich an, die Straße hinunterzugehen.
»Ich werde gleich wütend, junger Mann! Hört Ihr?«
Er blieb stehen, blickte zurück. »Wir haben noch genug Tageslicht für ein paar Längen.«
»Oh!« Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Ihr seid genau wie Rake!«
Tocs einziges Auge weitete sich langsam, dann grinste er. »Hol ein paar Mal tief Luft, Schätzchen.«
»Das hat er auch immer gesagt! Oh, das macht mich rasend! Es geschieht alles noch einmal! Was ist bloß mit euch allen los?«
Er lachte, doch es war kein raues Lachen, sondern eines voller innerer Wärme. »Kommt mit, Missgunst. Ich werde Euch mit der ausführlichen Geschichte meiner Jugend langweilen. So vergeht wenigstens die Zeit. Ich wurde auf einem Schiff geboren, müsst Ihr wissen, und es hat schon einige Tage gedauert, bis Toc der Ältere vorgetreten ist und zugegeben hat, dass er der Vater war – meine Mutter war die Schwester von Carther on Crust, versteht Ihr, und Crust war ziemlich jähzornig …«
Die Ländereien, die direkt an Bastions Wälle grenzten, waren verwüstet, die Gehöfte nur noch geschwärzte, schwelende Steinhaufen. Zu beiden Seiten der Straße war die Erde aufgerissen worden, klafften Löcher wie offene Wunden. Das gesamte Gebiet in Sichtweite der dicken Mauern der kleinen Stadt war mit den Überresten gewaltiger Scheiterhaufen gesprenkelt, die an runde, mit weißer Asche bestäubte Hügelgräber erinnerten. Keine Menschenseele war in der Ödnis zu sehen.
Über Bastions vierschrötigen, stufenförmig errichteten Gebäuden hingen dichte Rauchwolken. Möwen schwirrten als weiße Punkte über den grauen Schwaden durch die Luft. Ihre schwachen Schreie waren die einzigen Geräusche, die Toc und Lady Missgunst vernahmen, als die Gruppe sich dem landeinwärts gelegenen Tor der Stadt näherte. Der Gestank von Verbranntem überdeckte den Geruch des Sees auf der anderen Seite der Stadt, und die Luft war heiß und schien zwischen den Zähnen zu knirschen.
Das Stadttor stand weit offen. Als sie näher kamen, erhaschte Toc jenseits des überwölbten Torwegs eine Bewegung, als wenn eine dunkle, schweigende Gestalt rasch vorbeigegangen wäre. Seine Nerven flatterten. »Was ist hier geschehen?«, fragte er laut.
»Das ist wirklich alles sehr unangenehm«, stimmte Lady Missgunst zu.
Sie gingen unter dem Schatten des Torbogens hindurch, und in der Luft hing plötzlich der widerlich süße Geruch nach brennendem Fleisch. Toc
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