SdG 04 - Die eisige Zeit
stieß zischend die Luft zwischen den Zähnen hindurch.
Baaljagg und Garath – beide wieder in bescheidener Größe – trotteten voraus, die Köpfe tief gesenkt.
»Ich glaube, auf die Frage nach Lebensmitteln gibt es eine ziemlich grausige Antwort«, bemerkte Lady Missgunst.
Toc nickte. »Sie essen ihre eigenen Toten. Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, diese Stadt zu betreten.«
Sie drehte sich zu ihm um. »Seid Ihr denn nicht neugierig?«
»Neugierig schon, sicher, aber ich habe nicht die Absicht, Selbstmord zu begehen.«
»Fürchtet Euch nicht. Schauen wir uns die Sache noch ein bisschen genauer an.«
»Lady Missgunst …«
Ihr Blick wurde hart. »Wenn die Einwohner dieser Stadt närrisch genug sein sollten, uns zu bedrohen, werden sie meinen Zorn zu spüren bekommen. Und Garaths Zorn auch. Wenn Ihr meint, dass hier schon alles reichlich verwüstet ist, werdet Ihr etwas zu sehen bekommen, das die Verhältnisse wieder ein bisschen zurechtrückt, mein Lieber. Und jetzt kommt.«
»Jawohl, meine Dame.«
»Vertrautheit führt zu Scherzhaftigkeit, wie ich sehe. Wie bedauerlich.«
Mit den beiden Seguleh und ihrem bewusstlosen Kameraden drei Schritte hinter sich, traten Toc und Lady Missgunst hinaus auf den Platz.
Zersplitterte menschliche Oberschenkelknochen waren vor den inneren Mauern aufgeschichtet, manche von der Hitze ausgeglüht, andere rot und blutig. Die Gebäude, die den Platz umgaben, waren geschwärzt, ihre Türen und Fenster klaffende, leere Öffnungen. Überall lagen angenagte, zersplitterte Knochen herum; sie stammten von den unterschiedlichsten Tieren – Hunden, Maultieren, Pferden und Ochsen.
Drei Männer, bei denen es sich ganz offensichtlich um Priester handelte, warteten in der Mitte des Platzes auf sie; sie waren glatt rasiert und wirkten bleich und hager in ihren farblosen Gewändern. Einer von ihnen trat einen Schritt vor, als Toc und Missgunst sich ihnen näherten.
»Willkommen, Fremde. Ein Akolyth hat Euch auf der Straße gesehen, und wir sind hierher geeilt, um Euch zu begrüßen. Ihr habt Euch einen verheißungsvollen Tag ausgesucht, um das prächtige Bastion zu besuchen; leider bringt dieser Tag auch Euer Leben in große Gefahr. Wir werden bemüht sein, Euch zu führen, und so die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Ihr die gewalttätige … Nachgeburt der Laibung überlebt. Wenn Ihr uns folgen wollt …« Er deutete auf eine Seitenstraße. »An der Mündung der Iltara-Avenue sollten wir dem Aufbruch nicht mehr im Weg stehen, aber trotzdem in der Lage sein, das Wunder zu sehen.«
»Wunderbar«, sagte Lady Missgunst. »Wir danken Euch, Geheiligte.«
Die Entfernung zur Mündung der Seitenstraße betrug nicht mehr als fünfzig Schritt, doch in der Zeitspanne, die sie für diese Strecke benötigten, war die zuvor herrschende Stille von einem anschwellenden Gemurmel ersetzt worden, einem trockenen Flüstern, das aus dem Herzen von Bastion zu ihnen drang. Als sie an ihrem Ziel angelangt waren, kehrten Baaljagg und Garath zurück, um neben Lady Missgunst einher zu trotten. Senu und Thurule lehnten die Schlepptrage an die Wand eines Eckhauses und drehten sich dann um, so dass sie den Platz im Blick hatten, die Hände an den Waffen.
»Der Wille des Glaubens hat die Einwohner von Bastion in seine Arme geschlossen«, sagte der Priester. »Er kommt wie ein Fieber … ein Fieber, das nur der Tod beseitigen kann. Doch man darf dabei nicht vergessen, dass die Laibung das erste Mal hier in Bastion gespürt wurde, vor vierzehn Jahren. Damals ist der Seher aus den Bergen zurückgekehrt und hat die Worte der Wahrheit gesprochen, und die Macht jener Worte breitete sich aus wie Wellen auf einem Teich …« Die Stimme des Priesters brach, als seine eigenen Worte irgendwelche Gefühle in ihm aufsteigen ließen. Er neigte den Kopf, am ganzen Körper zitternd.
Ein anderer Priester fuhr für ihn fort. »Hier ist der Glaube zuerst erblüht. Eine Karawane aus Elingarth hat damals innerhalb unserer Mauern gelagert. Die Fremden wurden in einer einzigen Nacht belohnt. Und neun Monate später wurde der sterblichen Welt das Erste Kind des Toten Samens geschenkt. Dieses Kind ist nun mündig geworden, ein Ereignis, das ein erneutes Aufblühen des Glaubens ausgelöst hat – eine zweite Laibung hat stattgefunden, unter dem Befehl des Ersten Kindes, Anaster. Ihr werdet ihn gleich mit seiner Mutter an seiner Seite an der Spitze seiner neu gefundenen Tenescowri sehen. Weit im Norden wartet ein Krieg auf
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