SdG 04 - Die eisige Zeit
das, was wir hier vor uns sehen, denn der Genostel-Archipel ist eine halbe Welt von hier entfernt.«
Toc grunzte und betrachtete die erhöhte Straße, die nach Bastion führte. »Nun, vielleicht haben ihre Städte überlebt, aber nach allem, was man hört, waren die Pannionier einst ein Hügelvolk. Hirten. Barbaren. Rivalen der Daru- und Gadrobi-Stämme. Eure Kolonie ist erobert worden, Lady Missgunst.«
»So ist es immer, oder etwa nicht? Eine Zivilisation steht in voller Blüte, und dann taucht eine Horde wild grunzender Barbaren mit eng beieinander stehenden Augen auf und trampelt darauf herum. Malazanisches Imperium, nimm dich in Acht.«
»›Ignoriere niemals die Barbaren‹«, murmelte Toc. »Das waren die Worte von Imperator Kellanved.«
»Überraschend weise. Was ist mit ihm geschehen?«
»Er wurde von einer Frau mit eng beieinander stehenden Augen ermordet … aber sie war zivilisiert. Eine Napanesin … wenn man denn Napanesen zivilisiert nennen kann. Auf jeden Fall war sie aus dem Herzen des Imperiums.«
»Baaljagg sieht unruhig aus, mein Schatz. In Anbetracht all dieser untoten zweibeinigen Echsen, die hier unterwegs sind, sollten wir unsere Reise lieber fortsetzen.«
»Tool hat gesagt, dass die nächsten noch immer mehrere Tage von uns entfernt sind. Wie weit ist es nach Bastion?«
»Wir sollten Morgen bei Einbruch der Nacht dort eintreffen, vorausgesetzt, die Entfernung, die auf diesen Meilensteinen angegeben ist, stimmt.«
Sie machten sich wieder auf den Weg. Die Seguleh zogen weiter die Schlepptrage hinter sich her. Die Pflastersteine unter ihren Füßen waren zwar an einigen Stellen tief ausgetreten, jedoch meist von Gräsern überwachsen. Wenn in der letzten Zeit überhaupt Reisende hier vorbeigekommen waren, dann nicht sehr viele. Toc sah niemanden, während der Tag allmählich verstrich. Auf den Wiesen zu beiden Seiten der Straße lagen die Kadaver von Kühen und Schafen – ein Hinweis auf räuberische Wölfe. Es gab keine Schäfer, um die Herden zu schützen, und von dem zahmen Vieh konnten nur Ziegen und Pferde eine Rückkehr in die Wildnis überleben.
Als sie mitten am Nachmittag in den Außenbereichen eines weiteren verlassenen Weilers eine Pause einlegten – diesmal ein Weiler ohne Tempel –, überprüfte Toc wieder einmal seine Waffen, zischte dann wütend und warf Lady Missgunst, die ihm gegenübersaß, einen finsteren Blick zu. »Das ergibt alles keinen Sinn. Die Domäne breitet sich aus. Unersättlich. Armeen brauchen Nahrung. Genau wie Städte. Doch wenn auf dem Lande nur noch Geister beheimatet sind, wer – im Namen des Vermummten – versorgt sie dann mit Lebensmitteln?«
Lady Missgunst zuckte die Schultern. »Mich dürft Ihr nicht fragen, mein Liebling. Ich langweile mich zu Tode, wenn es um Ausrüstung oder Wirtschaft geht. Vielleicht werden wir die Antworten auf Eure belanglosen Bedenken ja in Bastion finden.«
»Belanglose Bedenken?«
»Nun, ja. Die Domäne wächst. Sie verfügt über Armeen. Und Städte. Das sind Fakten. Einzelheiten sind für Gelehrte, Toc der Jüngere. Solltet Ihr Euch nicht um mehr ins Auge springende Dinge sorgen, wie etwa Euer Überleben?«
Er starrte sie an, blinzelte schließlich langsam. »Lady Missgunst, ich bin bereits so gut wie tot. Warum sollte ich mir also deswegen Sorgen machen?«
»Aber das ist absurd! Ich schätze Euch viel zu sehr, um einfach zuzusehen, wie Ihr niedergehauen werdet. Ihr müsst lernen, mir zu vertrauen, mein Schatz.«
Er schaute weg. »Einzelheiten enthüllen verborgene Wahrheiten, Lady Missgunst. Man muss seinen Feind kennen – das ist ein elementarer Grundsatz. Was man weiß, kann man benutzen.« Er zögerte kurz und fuhr dann fort: »Einzelheiten können einen auch dazu bringen, Vertrauen zu haben, wenn es um die Motive und Interessen derjenigen geht, die Verbündete sein könnten.«
»Oh, ich verstehe. Und was wollt Ihr wissen?«
Er blickte ihr in die Augen. »Was macht Ihr hier?«
»Nanu, Toc der Jüngere, habt Ihr das vergessen? Euer Kamerad, der T’lan Imass hat doch gesagt, dass die Geheimnisse des Spalts von Morn nur in der Domäne gelöst werden können.«
»Ein glücklicher Zufall, Lady«, grollte er. »Ihr seid vollauf damit beschäftigt, andere zu manipulieren. Uns alle. Mich, die Seguleh, sogar Tool.« Er gestikulierte. »Garath, Euer Schoßtier. Er könnte ein Schattenhund sein – «
»Das könnte er wirklich«, sagte sie lächelnd. »Ich glaube allerdings, dass er sich dagegen
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