SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
dumpfes Geräusch, »wir sind längsseits. Einen Augenblick, ich klettere an Bord.«
Karsa lauschte auf das Ächzen und Keuchen des Daru, das Rutschen und Kratzen seiner bloßen Füße, das Rasseln von Ketten und schließlich einen gedämpften Aufprall.
Dann herrschte Stille.
»Torvald Nom?«
Nichts.
Das Floß stieß mit der Ecke hinter Karsas Kopf gegen die Längsseite des Schiffsrumpfs und begann an ihr entlangzutreiben. Kühles Wasser überspülte die Oberfläche, und Karsa schauderte vor der Berührung zurück, aber er konnte nichts tun, während es sich unter ihm ausbreitete. »Torvald Nom!«
Seine Stimme erzeugte ein merkwürdiges Echo.
Keine Antwort.
Karsa entschlüpfte ein tiefes Lachen, ein Geräusch, merkwürdig unabhängig von seinem Willen. Er würde in einem Gewässer ertrinken, das ihm wahrscheinlich nicht weiter als bis zur Hüfte reichen würde, wenn er stehen könnte. Vorausgesetzt, dass die Zeit dafür reichte. Vielleicht war Torvald Nom getötet worden – das Seegefecht hätte schon sehr bizarr ablaufen müssen, wenn es keine Überlebenden gegeben haben sollte –, und man schaute in diesem Augenblick von außerhalb seines Blickfelds auf ihn herab; vielleicht stand sein Schicksal gerade auf Messers Schneide.
Das Floß näherte sich dem Bug des Schiffs.
Ein scharrendes Geräusch, dann: »Wo …? Oh.«
»Torvald Nom?«
Schritte bewegten sich stolpernd über das Deck des Schiffs. »Tut mir Leid, mein Freund. Ich fürchte, ich war ohnmächtig. Hast du gerade eben gelacht?«
»Das habe ich. Was hast du gefunden?«
»Nicht viel. Blutlachen, die mittlerweile getrocknet sind. Spuren, die hindurchführen. Das Schiff ist gründlich ausgeplündert worden. Beim Vermummten – du sinkst!«
»Und ich glaube nicht, dass du irgendetwas dagegen tun kannst, Tiefländer. Überlass mich meinem Schicksal. Nimm das Wasser und meine Waffen – «
Doch Torvald war wieder aufgetaucht. Er hatte ein Seil in der Hand, kletterte in der Nähe des hohen Bugs über die Bordwand und ließ sich wieder ins Wasser gleiten. Schwer atmend fummelte er einen Augenblick mit dem Seil herum, bevor es ihm gelang, es unter den Ketten hindurchzuschieben. Er zog es durch und wiederholte das Gleiche auf der anderen Seite des Floßes. Ein drittes Mal, unten in der Nähe von Karsas linkem Fuß, und dann noch eine vierte Schlinge gegenüber.
Der Teblor konnte spüren, wie das nasse, schwere Tau durch die Ketten gezogen wurde. »Was machst du da?«
Torvald gab keine Antwort. Er kletterte zurück auf das Schiff, das Tau hinter sich herziehend. Längere Zeit war es ganz still, dann hörte Karsa wieder Bewegung, und das Tau straffte sich langsam.
Torvalds Kopf und Schultern kamen in sein Blickfeld. Der Tiefländer war totenbleich. »Das ist alles, was ich tun kann, mein Freund. Vielleicht sinkt das Floß noch ein wenig mehr, aber ich hoffe nicht allzu viel. Ich komme bald wieder und kümmere mich um dich. Mach dir keine Sorgen, ich lasse dich nicht ertrinken. Ich werde mich jetzt mal ein bisschen umsehen – die Bastarde können doch nicht alles mitgenommen haben.«
Er verschwand aus Karsas Blickfeld.
Der Teblor wartete. Schauer durchliefen ihn, als das Meer ihn langsam umarmte. Der Wasserspiegel hatte seine Ohren erreicht, dämpfte alle anderen Geräusche außer dem trägen Plätschern des Wassers. Er sah, wie die vier Taue sich langsam über ihm spannten.
Es fiel ihm schwer, sich daran zu erinnern, wie es gewesen war, als er seine Glieder noch frei bewegen konnte, als seine aufgeschürften, eiternden Handgelenke noch nicht den unerbittlichen Griff eiserner Handschellen kannten, als er – tief im Innern seines ausgedörrten Körpers – noch keine überwältigende Müdigkeit, keine Schwäche gespürt hatte, als sein Blut noch nicht so dünn wie Wasser durch seine Adern geflossen war. Er schloss die Augen und spürte, wie er wegdämmerte.
Weg …
Urugal, einmal mehr stehe ich vor dir. Vor diesen Gesichtern im Fels, vor meinen Göttern. Urugal -
»Ich sehe keinen Teblor vor mir stehen. Ich sehe keinen Krieger mitten durch seine Feinde waten und Seelen ernten. Ich sehe keine Toten, die zu großen Haufen aufgeschichtet sind, so zahlreich wie eine Bhederin-Herde, die über eine Klippe getrieben wurde. Wo sind meine Geschenke? Wer ist es, der hier behauptet, er würde mir dienen?«
Urugal. Du bist ein blutrünstiger Gott -
»Etwas, das ein Teblor-Krieger genießt!«
So wie ich es einst getan habe. Aber jetzt bin ich mir nicht
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