SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
glaubt, wir alle wären in ein solches Gewirr hineingeraten. Es könnte sein, dass es hier kein Land gibt. Überhaupt keins. Beim Vermummten, es gibt hier keinerlei Wind, und wir scheinen uns nirgendwohin zu bewegen – die Wrackteile des Schiffs dümpeln immer noch überall um uns herum. Genau gesagt, hätte es uns beinahe mit in die Tiefe gerissen. Außerdem ist das hier Süßwasser – nein, ich würde es nicht trinken wollen. Es ist total schlammig. Es gibt keine Fische. Keine Vögel. Überhaupt keine Anzeichen von Leben. Nirgends.«
»Ich brauche Wasser. Und etwas zu essen.«
Torvald krabbelte zu dem eingewickelten Bündel hinüber, das er aus dem Meer gefischt hatte. »Wasser haben wir. Etwas zu essen? Kann ich nicht garantieren. Karsa, hast du deine Götter angerufen oder so was in der Art?«
»Nein.«
»Und warum hast du dann geschrieen?«
»Ich hatte einen Traum.«
»Einen Traum?«
»Ja. Haben wir jetzt was zu essen?«
»Äh, ich bin mir nicht sicher; das meiste ist Polsterung … und mittendrin eine kleine hölzerne Kiste.«
Karsa hörte, wie Torvald die Polsterung wegriss. »Da ist ein Zeichen eingebrannt. Sieht aus wie … wie von den Moranth, glaube ich.« Der Deckel wurde freigelegt. »Noch mehr Polsterung, und ein Dutzend Tonkugeln … mit Wachsstopfen darin – oh, Beru hilf – « Der Daru wich vor der Kiste zurück. »Bei der tropfenden Zunge des Vermummten. Ich glaube, ich weiß, was das ist. Hab’ noch nie welche gesehen, aber schon von ihnen gehört – aber wer hat das nicht? Tja, also …«Er lachte plötzlich auf. »Wenn Silgar noch einmal auftaucht und versucht, uns fertig zu machen, wird er sein blaues Wunder erleben. Genau wie alle anderen, die meinen, sie müssten sich mit uns anlegen.« Er beugte sich wieder vor, stopfte die Polsterung vorsichtig zurück und schloss den Deckel.
»Was hast du gefunden?«
»Alchemistische Munition. Kriegsgerät. Man wirft sie – am besten, so weit man kann. Die Hülle aus Ton zerbricht, und die Chemikalien im Innern explodieren. So ein Ding sollte einem allerdings nicht in der Hand zerbrechen oder vor die Füße fallen. Denn dann ist man tot. Die Malazaner haben diese Dinger auf ihrem Feldzug in Genabackis verwendet.«
»Wasser, bitte.«
»Klar doch. Hier muss doch irgendwo eine Schöpfkelle … hab’ sie.«
Einen Augenblick später beugte Torvald sich über Karsa, und der Teblor trank langsam all das Wasser, das sich in der Schöpfkelle befand.
»Besser?«
»Ja.«
»Mehr?«
»Jetzt nicht. Befreie mich.«
»Ich muss erst noch mal zurück ins Wasser, Karsa. Ich muss ein paar Planken unter dieses Floß schieben.«
»Also gut.«
An diesem merkwürdigen Ort schien es weder Tag noch Nacht zu geben; der Himmel änderte gelegentlich seine Farbe, als gäbe es Winde dort oben in der Höhe, die zinnfarbenen Streifen drehten und streckten sich, doch sonst veränderte sich nichts. Die Luft um das Floß herum blieb vollkommen still, feucht und kühl und seltsam dick.
Die Flansche, in denen Karsas Ketten verankert waren, befanden sich auf der Unterseite, und sie hielten ihn auf eine Weise an Ort und Stelle, die genau der im Sklavengraben von Silbersee entsprach. Die Schellen selbst waren zugeschweißt worden. Torvald konnte nur versuchen, die Löcher in den Planken zu weiten, durch die die Ketten hindurchliefen, und so bohrte er mit Hilfe einer eisernen Spange im Holz herum.
Die Monate der Gefangenschaft hatten ihn geschwächt, so dass er immer wieder Ruhepausen einlegen musste, und die Spange verwandelte seine Hände in eine blutige Masse, doch nachdem der Daru erst einmal begonnen hatte, wollte er nicht wieder aufhören. Karsa maß das Verstreichen der Zeit an den rhythmischen knirschenden und kratzenden Geräuschen, und er bemerkte, wie jede Pause länger wurde, bis Torvalds Atemzüge ihm verrieten, dass der Daru vor Erschöpfung eingeschlafen war. Nur das träge Plätschern des Wassers, das immer wieder über die Plattform schwappte, leistete dem Teblor jetzt noch Gesellschaft.
Das Floß sank noch immer – trotz all dem Holz, das darunter gestopft war –, und Karsa wusste, dass Torvald ihn nicht rechtzeitig würde befreien können.
Er hatte den Tod nie zuvor gefürchtet. Aber nun wusste er, dass Urugal und die anderen Gesichter im Fels seine Seele im Stich lassen, dass sie sie den Tausenden von schrecklichen, nach Rache dürstenden Leichnamen überlassen würden. Er wusste, dass sein Traum ihm ein Schicksal enthüllt hatte, das
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