SdG 12 - Der Goldene Herrscher
die Fent und einen Haufen noch unbekannterer Völker, die die Letherii in den letzten sieben oder acht Jahrhunderten vernichtet hatten - die Bratha, die Katter, die Dresh und die Triller.
Und hier, unter dem Alten Palast, hatte Federhexe Räume entdeckt, deren Wände mit Regalen vollgestellt waren, auf denen tausende von schimmelnden Schriftrollen, bröckeligen Tontafeln und wurmzerfressenen gebundenen Büchern lagen und standen. Die meisten von denen, die sie sich genauer angesehen hatte, waren nicht nur verblasst, sondern auch in einem obskuren Letherii verfasst, das sich als schwierig zu entziffern erwiesen hatte. Aber sie lernte, wenn auch langsam. Eine Handvoll alter Wälzer waren allerdings in einer Sprache verfasst, die sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Das Erste Imperium, von wo diese Kolonie vor all den Jahrhunderten ursprünglich gekommen war, schien ein komplizierter Ort gewesen zu sein, die Heimat zahlloser Völker, alle mit einer eigenen Sprache und eigenen Göttern. Und auch wenn das Imperium wieder und wieder behauptete, die Wiege der menschlichen Zivilisation zu sein, war es für Federhexe offensichtlich, dass eine solche Behauptung nicht ernst genommen werden konnte. Vielleicht war das Erste Imperium die erste Nation gewesen, die aus mehr als einer einzelnen Stadt bestand - das Ergebnis einer Reihe von Eroberungen, in deren Verlauf ein Stadtstaat nach dem anderen von den sich austobenden Gründern verschluckt worden war. Doch selbst wenn dem so war, war das legendäre Reich der Sieben Städte an seinen Grenzen von unabhängigen Stämmen und Völkern umgeben gewesen, und es hatte Kriege und anschließend Verträge gegeben. Einige wurden gebrochen, doch die meisten nicht. Die imperialen Bestrebungen waren vereitelt worden, und diese Tatsache führte zum Zeitalter der Kolonisation ferner Länder.
Das Erste Imperium war auf Gegner gestoßen, die das Knie nicht hatten beugen wollen. Das war für Federhexe die bedeutendste aller Erkenntnisse - eine, die praktischerweise und absichtlich in Vergessenheit geraten war. Sie hatte Kraft aus dieser Erkenntnis geschöpft, aber letztlich war sie nichts weiter als eine Bestätigung der Entdeckungen, die sie bereits vorher gemacht hatte - in der riesigen Welt da draußen. Es hatte Zusammenstöße gegeben, grimmige Seefahrer, die Anstoß an einer fremden Flotte genommen hatten, die in ihre Gewässer eingedrungen war. Schiffe der Letherii und der Edur waren untergegangen - Gestalten inmitten von Wellen voller Wrackteile, die Arme in hoffnungslosem Flehen hoch erhoben - das Auftauchen und Herumwirbeln von Haien, Dhenrabi und anderen geheimnisvollen Räubern der Tiefe - Schreie, klägliche Schreie, die noch immer in ihrem Kopf nachhallten, ihr den Magen umdrehten. Abscheu und Schadenfreude.
Die Stürme, die der Flotte vor allem westlich der Drachensee arg zugesetzt hatten, hatten die wahre Unermesslichkeit der Kraft der Natur enthüllt, die ganze Schiffe launisch hin- und hergeschleudert und schließlich verschlungen hatte - es lag Freude darin, so gedemütigt zu werden, eine Freude, die mit der Last der Offenbarung über sie kam. Das Imperium von Lether war winzig - genau wie Uruth Sengar hielt es sich an einem Gehabe von Größe fest, obwohl es doch nicht mehr war als eine weitere armselige Bruchbude voller sich angstvoll duckender Sterblicher.
Sie würde nicht bedauern, es zu zerstören.
Zusammengekauert in ihrem Lieblingszimmer unter einer von Sprüngen und Rissen durchzogenen Kuppel, deren Malereien größtenteils von Flecken und Schimmel verdeckt wurden, setzte Federhexe sich im Schneidersitz hin und zog einen kleinen Lederbeutel heraus. In dem sich ihr kostbarster Besitz befand. Sie konnte ihn durch das dünne Leder spüren - die Unregelmäßigkeiten, das leicht ausgefranste Ende, den Bogen eines Nagels, der weitergewachsen war. Sie wollte ihn herausholen, wollte wieder einmal seine glatte Haut berühren …
»Närrisches kleines Mädchen.«
Zischend wich Federhexe vom Eingang zurück. Eine verzerrte, missgestaltete Gestalt hockte auf der Schwelle. Sie hatte ihn lange nicht gesehen, ihn fast vergessen - »Hannan Mosag. Ich werde dir gegenüber keine Rechenschaft ablegen. Und wenn du glaubst, dass ich schwach bin …«
»Oh, nein«, sagte der Hexenkönig schnaufend, »das ist es nicht. Ich habe mein Wort sorgfältig gewählt, als ich >närrisch< gesagt habe. Ich weiß, dass du tief in die Magie von euch Letherii eingetaucht bist. Du bist weit darüber
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