Warum Liebe Weh Tut
205 3.
Das Verlangen nach Anerkennung: Liebe und die Verletzlichkeit des Selbst
My worthiness is all my doubt,
His merit all my fear,
Contrasting which, my qualities
Do lowlier appear;
Lest I should insufficient prove
For his beloved need,
The chiefest apprehension
Within my loving creed.
So I, the undivine abode
Of his elect content,
Conform my soul as ’t were a church
Unto her sacrament.
– Emily Dickinson
Zwar durch die Macht der Liebe bin ich dein,
Und ewig diese Banden trag’ ich fort;
Doch durch der Waffen Glück gehörst du mir;
Bist mir zu Füßen, Treffliche, gesunken,
Als wir im Kampf uns trafen, nicht ich dir.
– Heinrich von Kleist (Achilles zu Penthesilea) *
In seinen Meditationen umreißt Descartes ein Schlüsselereignis der Moderne: Ein Bewußtsein begreift sich selbst als 206 zweifelndes und versucht in ebendiesem Akt, die Gewißheit dessen zu erlangen, was es weiß. In seiner dritten Meditation schreibt Descartes:
Ich bin ein denkendes [bewußtes] Ding, d. h. ein solches, das zweifelt, bejaht, verneint, wenig versteht, vieles nicht weiß, [das liebt, haßt,] das will, nicht will, auch Einbildung und Empfindung hat. Denn – wie schon oben bemerkt – wenngleich das, was ich in der Empfindung oder in der Einbildung habe, außer mir vielleicht nichts ist, so bin ich doch dessen gewiß, daß jene Weisen des Bewußtseins, die ich Empfindungen und Einbildungen nenne, insofern als sie nur gewisse Weisen des Bewußtseins sind, in mir vorhanden sind. [1]
Descartes’ intellektuelle Artistik liegt in der Behauptung, die Methode, Gewißheit zu erlangen, bestehe darin, zu zweifeln, und das Ich sei die einzige Instanz, die Wissen sowohl zu bezweifeln als auch zu beglaubigen vermöge, nachdem der Zweifel der Weg zur Gewißheit ist.
Viel ist über den Willen zur Kontrolle geschrieben worden, der dem cartesischen Versuch innewohnt, die Gewißheit des Wissens von innerhalb der Mauern des eigenen Bewußtseins zu begründen. [2] Weniger Aufmerksamkeit wurde der Lust zuteil, die das Ich eindeutig daraus bezieht, sich als Objekt der Gewißheit zu konstituieren. [3] Die Erfahrung des Zweifels hat in Descartes’ Text einen jubilatorischen Charakter im Lacanschen Sinne jener Lust, die das Kleinkind daraus bezieht, die Kontrolle über den eigenen Körper vorwegzunehmen. Der cartesische Zweifel jubiliert und ist jubilatorisch, weil er die Gewißheit vorwegnimmt.
Der französische Philosoph Jean-Luc Marion schließt an Descartes’ Überlegung an und behauptet, daß dessen 207 Objektmetaphysik – also eine Metaphysik, deren Zweck es ist, Gewißheit über Objekte zu erlangen – nicht dazu verhilft, eine wichtigere Gewißheit zu erlangen, nämlich die des Ich, Selbst oder Ego. Das Ich braucht nicht nur und nicht einmal vorrangig eine epistemische oder ontologische Gewißheit, sondern eine erotische – die vielleicht als einzige auf die Frage antworten kann, was Gewißheit wert ist. Für Marion steht der Liebende im Gegensatz zur »res cogitans«, denn wo letztere nach Gewißheit sucht, sucht ersterer nach einer Zusicherung (oder »Bestätigung«) und ersetzt die Frage »existiere ich?« durch die Frage »werde ich geliebt?« [4]
Marions Umformulierung von Descartes’ Versuch, Gewißheit zu erlangen, ist durchaus nicht willkürlich, sondern symptomatisch dafür, daß es heute die ontologische Sicherheit und das Selbstwertgefühl sind, die in der romantischen und erotischen Bindung auf dem Spiel stehen. Zu behaupten, daß sexuelle Begegnungen mittlerweile in sozialen Feldern organisiert sind, heißt ja nichts anderes, als daß sie sozialen Status und ein Selbstwertgefühl zu stiften vermögen. Selbst ein flüchtiger Blick auf die modernen sexuellen und romantischen Verhältnisse macht deutlich, daß Sexualität und Liebe zu wichtigen Bestandteilen des Selbstwertgefühls eines Individuums geworden sind. Wie ich zeigen möchte, ist es unter den Bedingungen der Spätmoderne die erotische Frage, die das Problem der Bestätigung am deutlichsten zum Ausdruck bringt, wobei die Umstellung von der epistemischen auf die erotische Frage mit allen Aporien des Selbst in der Moderne befrachtet ist.
* Die Mottos stammen aus Emily Dickinson, Poems,1890-1896 , Gainesville 1967, S. 470 (»Love's Humilty«), sowie Heinrich von Kleist, Penthesilea [1808], in: Sämtliche Werke und Briefe , hg. von Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Walter
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