SdG 12 - Der Goldene Herrscher
eine verwüstete Welt.
Und machten sich daran, zu säubern, was noch von ihr übrig war.
Die Ahl’dan, in den letzten Tagen von König Diskanar
Preda Bivatt, Kommandantin der Garnison von Drene, war weit weg von zu Hause. Einundzwanzig Tage weit, wenn man die Strecke mit einem Fuhrwerk zurücklegte. Sie kommandierte einen Expeditionstrupp aus zweihundert Soldaten der Zerfetztes-Banner-Armee, dreißig Mann leichter Kavallerie aus Blaurose und einen vierhundert Mann starken Versorgungstross, zu dem auch Zivilisten gehörten. Und nun, nachdem sie den Befehl erteilt hatte, das Lager aufzuschlagen, glitt sie vom Rücken ihres Pferdes und ging die gut fünfzig Schritt hinüber zum Rand der Klippe.
Als sie den Grat erreichte, versetzte der Wind ihr einen heftigen Schlag gegen die Brust, als wäre er ganz wild darauf, sie zurückzuschleudern, sie von diesem arg mitgenommenen Landstrich zu fegen. Das Meer jenseits des Grats schien dem Alptraum eines Künstlers entsprungen zu sein - eine brodelnde, wogende Wasserfläche, über der schwere, sich windende Wolken in Fetzen gerissen wurden. Das Wasser war mehr weiß als blaugrün, Schaumkronen erblühten, Gischt stieg über den Felsen auf, während die Wogen auf das Ufer einschlugen.
Doch mit einem Frösteln, das ihr bis tief in die Knochen fuhr, sah sie, dass dies der richtige Ort war.
Ein Fischerboot war weit vom Kurs abgekommen und in den tödlichen Mahlstrom geraten, zu dem das Meer an dieser Stelle wurde - ein Meeresgebiet, in das sich kein Handelsschiff, wie groß es auch sein mochte, freiwillig begeben würde. Ein Meeresgebiet, das vor achtzig Jahren eine Stadt der Meckros gefangen und in Stücke gerissen und dabei die zwanzigtausend oder mehr Bewohner der schwimmenden Siedlung in die Tiefe gerissen hatte.
Die Fischer hatten lange genug überlebt, um ihr schwer mitgenommenes Boot sicher in hüfttiefem Wasser auf Grund laufen zu lassen, vielleicht dreißig Schritt vom felsigen Ufer entfernt. Ihr Fang war verloren, ihr Boot wurde von unbarmherzigen Wogen zu Kleinholz zerschlagen, aber die vier Letherii hatten es geschafft, das trockene Land zu erreichen.
Und hatten … das hier gefunden.
Preda Bivatt zog den Kinnriemen ihres Helms fester, damit der Wind ihn ihr nicht vom Kopf reißen konnte - oder den Kopf gleich mit ab -, und ließ den Blick weiter über die Wrackteile schweifen, die das Ufer säumten. Das Vorgebirge, auf dem sie stand, war unterhöhlt und fiel drei Mannshöhen tief zu einer Bank aus weißem Sand ab, auf dem langgezogene Reihen aus totem Seetang, entwurzelten Bäumen und den Überresten einer achtzig Jahre alten Stadt der Meckros lagen. Und noch etwas anderes. Etwas weitaus Überraschenderes.
Kriegskanus. Für das offene Meer geeignete Kriegskanus, jedes so lang wie ein Korallenstirnwal, mit hohem Bug, länger und breiter als die Schiffe der Tiste Edur. Und sie waren nicht als Wracks ans Ufer geschleudert worden - nein, kein einziges von ihnen wies irgendwelche Anzeichen einer Beschädigung auf. Sie waren in Reihen hoch auf den Strand hinaufgezogen worden; allerdings war dies offensichtlich schon vor einiger Zeit geschehen - mindestens vor Monaten, vielleicht auch schon vor Jahren.
Jemand trat an ihre Seite. Der Kaufmann aus Drene, mit dem der Kontrakt zur Ausstattung dieser Expedition geschlossen worden war. Ein blasser Mann, dessen Haare so hellblond waren, dass sie beinahe weiß wirkten. Jetzt war sein rundes Gesicht vom Wind gerötet, doch sie konnte sehen, dass seine blassblauen Augen auf die Kriegskanus gerichtet waren, dass sein Blick die Reihe entlangglitt, erst nach Westen, dann nach Osten. »Ich habe eine gewisse Begabung«, sagte er zu ihr, so laut, dass er den Sturm übertönte.
Bivatt sagte nichts. Der Kaufmann konnte zweifellos mit Zahlen umgehen - darauf bezog sich die Aussage über seine Begabung. Und sie war Offizier der letheriischen Armee und konnte auch ohne seine Hilfe sehr gut abschätzen, wie groß die Besatzung jedes einzelnen Kanus wahrscheinlich gewesen war. Hundert Mann, vielleicht auch zwanzig mehr oder weniger.
»Preda?«
»Was ist?«
Der Kaufmann gestikulierte hilflos. »Diese Kanus.« Er wedelte mit der Hand, als wollte er den Strand in beide Richtungen einschließen. »Es müssen …« Und dann fehlten ihm die Worte.
Sie verstand ihn nur zu gut.
Ja. Reihe um Reihe, alle auf dieses gefährliche Ufer gezogen. Drene, die nächstgelegene Stadt des Königreichs, lag drei Wochen entfernt in südwestlicher
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