SdG 12 - Der Goldene Herrscher
vielleicht. Aber er hasst nicht. Nein, er verspürt Mitleid.
Mitleid. Sogar mit mir.
Seren Pedac hörte die Pferde als Erste, hörte den Hufschlag auf dem von Wald gesäumten Pfad. Der Nachthimmel über dem Fort war merkwürdig schwarz, trüb, wie Rauch - aber es war kein Feuerschein zu sehen. Sie hatten den Knall gehört, der mindestens eine Mauer zerstört hatte, und Kessel hatte vor Lachen aufgequietscht, ein groteskes, unheimliches Geräusch. Dann ein paar ferne Schreie, und allzu schnell danach nur noch Stille.
Silchas Ruin tauchte auf, begleitet vom Stöhnen der in ihren Scheiden steckenden Schwerter. Er führte ein Dutzend Pferde am Zügel.
»Und wie viele aus meinem Volk habt Ihr diesmal getötet?«, fragte Forcht Sengar.
»Nur diejenigen, die so dumm waren, sich mir entgegenzustellen«, sagte Silchas Ruin. »Diese Verfolgungsjagd«, fuhr er fort, »ist keine Idee deines Bruders. Der Hexenkönig steckt dahinter. Wir können wohl nicht mehr daran zweifeln, dass er sucht, was auch wir suchen. Und jetzt ist die Zeit gekommen, Forcht Sengar, dass wir beide unsere Messer auf den Boden legen. Die Wünsche des Hexenkönigs mögen ja vielleicht den deinen entsprechen, aber ich versichere dir, diese Wünsche sind nicht mit den meinen in Einklang zu bringen.«
Seren Pedac spürte plötzlich einen schweren Klotz im Magen. So etwas hatte sich schon lange abgezeichnet, die Streitfrage, der sie wieder und wieder aus dem Weg gegangen waren, immerzu entschuldigt durch die Forderungen schlichter Zweckmäßigkeit. Forcht Sengar konnte diesen Kampf nicht gewinnen - das wussten sie alle. Hatte er vor, sich Silchas Ruin in den Weg zu stellen? Ein Tiste Edur mehr, der niedergemacht werden musste? »Es gibt keinen zwingenden Grund, dieses Thema ausgerechnet jetzt anzuschneiden«, sagte sie. »Wir sollten einfach auf die Pferde steigen und losreiten.«
»Nein«, sagte Forcht Sengar, den Blick unverwandt auf den Tiste Andii gerichtet. »Bringen wir es hinter uns. Silchas Ruin, in meinem Herzen habe ich mich mit der Tatsache von Scabandaris Verrat abgefunden. Ihr habt ihm vertraut - und habt deswegen auf unvorstellbare Weise gelitten. Aber wie können wir das wiedergutmachen? Wir sind keine Wechselgänger. Wir sind keine Aufgestiegenen. Wir sind einfach nur Tiste Edur, und daher fallen wir wie Schösslinge durch Euch und Eure Schwerter. Sagt mir, wie können wir Euren Durst nach Rache lindern?«
»Das könnt ihr nicht. Und deine Verwandten zu töten ist keine Antwort auf mein Verlangen. Forcht Sengar, du hast von Wiedergutmachung gesprochen. Ist das dein Wunsch?«
Der Edur-Krieger schwieg ein halbes Dutzend Herzschläge lang. »Scabandari hat uns auf diese Welt gebracht«, sagte er dann.
»Eure Welt lag im Sterben.«
»Ja.«
»Ihr wisst das vielleicht nicht«, sagte Silchas Ruin, »aber Blutauge war zum Teil selbst für das Zerbrechen des Schattens verantwortlich. Doch für mich ist der Verrat, den er vor jenem Verbrechen begangen hat, von weit größerer Bedeutung. Verrat an meinem Verwandten - meinem Bruder Andarist -, dessen Seele danach mit so viel Kummer beladen war, dass es ihn wahnsinnig gemacht hat.« Er neigte langsam den Kopf. »Fandest du es einfältig von mir, mit Scabandari Blutauge ein Bündnis zu schließen?«
Udinaas stieß ein bellendes Lachen aus. »Immerhin wart Ihr so einfältig, ihm den Rücken zuzudrehen.«
Seren Pedac schloss die Augen. Bitte, Schuldner, halt einfach den Mund. Nur dieses eine Mal.
»Du sprichst die Wahrheit, Udinaas«, antwortete Silchas Ruin nach einem Moment. »Ich war erschöpft, unachtsam. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er es so … öffentlich tun würde. Doch im Nachhinein betrachtet, musste der Verrat absolut sein - und das hat das Blutbad an meinen Gefolgsleuten mit eingeschlossen.«
»Ihr wolltet Scabandari verraten«, sagte Forcht Sengar, »aber er hat als Erster gehandelt. Also ein wahres Bündnis unter Gleichen.«
»Ich habe schon vermutet, dass du es so sehen würdest«, antwortete der Tiste Andii. »Mach dir eines klar, Forcht Sengar. Ich werde nicht zulassen, dass die Seele Scabandari Blutauges befreit wird. Es gibt bereits genügend tadelnswerte Aufgestiegene auf dieser Welt.«
»Ohne Vater Schatten«, sagte Forcht, »kann ich Rhulad nicht von den Ketten des Verkrüppelten Gottes befreien.«
»Das könntest du auch mit ihm nicht.«
»Ich glaube Euch nicht, Silchas Ruin. Vater Schatten war Euch schließlich ebenbürtig. Und ich glaube nicht, dass der
Weitere Kostenlose Bücher