SdG 12 - Der Goldene Herrscher
Verkrüppelte Gott Euch ernsthaft jagt. Wenn tatsächlich Hannan Mosag hinter dieser unaufhörlichen Verfolgungsjagd steckt, dann sucht er mich und Udinaas. Nicht Euch. Es wäre sogar möglich, dass der Hexenkönig überhaupt nichts von Euch weiß - davon, wer Ihr seid … außer, dass Ihr die geheimnisvolle Weiße Krähe seid.«
»Das scheint nicht der Fall zu sein, Forcht Sengar.«
Diese Aussage schien den Tiste Edur zu erschüttern.
Silchas Ruin sprach weiter. »Scabandari Blutauges Körper wurde zerstört. Gegen mich wäre er nun hilflos. Eine Seele ohne Ursprung ist ein verletzliches Ding. Darüberhinaus könnte es sein, dass seine Macht bereits … benutzt wird.«
»Von wem?«, fragte Forcht. Er flüsterte beinahe.
Der Tiste Andii zuckte die Schultern. »Es hat den Anschein«, sagte er, und es klang beinahe gleichgültig, »als sei deine Suche sinnlos. Das, was du willst, kannst du nicht erreichen. Ich will dir folgendes Angebot machen, Forcht Sengar. An dem Tag, an dem ich mich entschließe, etwas gegen den Verkrüppelten Gott zu unternehmen, wird dein Bruder frei sein, genau wie alle Tiste Edur. Wenn diese Zeit gekommen ist, können wir über Wiedergutmachung sprechen.«
Forcht Sengar starrte Silchas Ruin an, blickte dann kurz zur Seite, zu Seren Pedac. Er holte tief Luft. »Euer Angebot … beschämt mich. Doch ich kann mir nicht vorstellen, was die Tiste Edur Euch als Gegenleistung für eine solche Befreiung geben könnten.«
»Überlass das mir«, sagte der Tiste Andii.
Seren Pedac seufzte und ging dann zu den Pferden. »Die Dämmerung bricht bald an. Wir sollten mindestens bis heute Mittag reiten. Dann können wir schlafen.« Sie machte eine Pause, sah wieder Silchas Ruin an. »Ihr seid davon überzeugt, dass man uns nicht verfolgen wird?«
»Das bin ich, Freisprecherin.«
»Also haben tatsächlich Schutzzauber auf uns gewartet?« Der Tiste Andii gab keine Antwort.
Während die Freisprecherin bei einem der Pferde Sattel und Steigbügel so herrichtete, dass Kessel darauf reiten konnte, beobachtete Udinaas das Mädchen; sie hockte nahe beim Waldrand und spielte mit einem Orthen, das keineswegs verzweifelt zu versuchen schien, sich ihrer Aufmerksamkeit zu entziehen. Die Dunkelheit war verschwunden, und im dämmrigen, rasch heller werdenden Licht wirkten die Nebelschwaden silbern.
Verblichener tauchte neben ihm auf, wie ein Stückchen Nacht, das sich weigerte zu verschwinden. »Diese schuppigen Ratten stammen von der Welt der K’Chain Che’Malle, Udinaas. Früher gab es auch größere, die zum Essen gezüchtet wurden, aber sie waren schlau - vielleicht schlauer, als sie hätten sein sollen. Sie haben angefangen, aus ihren Ställen abzuhauen und in den Bergen zu verschwinden. Es heißt, es seien noch immer einige übrig …«
Udinaas gab ein spöttisches Geräusch von sich. »Heißt es das? Hast du dich in Schenken rumgedrückt, Verblichener?«
»Der schreckliche Preis der Vertrautheit - du hast keinen Respekt mehr vor mir, Schuldner. Ein höchst tragischer Irrtum, denn das Wissen, über das ich verfüge …«
»Ist wie ein Fluch der Langeweile«, sagte Udinaas und stand auf. »Schau sie dir an«, fuhr er fort, und nickte in Richtung Kessel. »Sag mir, glaubst du an Unschuld? Ach, was soll’s, so sehr interessiert mich deine Meinung gar nicht. Im Großen und Ganzen tu ich’s eher nicht. An die Unschuld glauben, meine ich. Trotzdem, was das Kind da betrifft… nun, ich trauere jetzt schon.«
»Warum? Um was?«, wollte Verblichener wissen.
»Um die Unschuld, Gespenst. Wenn wir sie töten.«
Daraufhin schwieg Verblichener untypischerweise.
Udinaas starrte auf den zusammengekauerten Schatten hinunter und sagte höhnisch: »All dein ach so begehrtes Wissen …«
Siebzehn Legenden beschrieben den Krieg gegen die schuppigen Dämonen - die Kechra, wie die Ahl sie nannten; in sechzehn davon ging es um Schlachten, schreckliche Kämpfe, nach denen die Leichen der Krieger überall auf den Ebenen und Hügeln der Ahldan verstreut lagen. Es war auch weniger ein richtiger Krieg als vielmehr eine überstürzte Flucht gewesen, zumindest in den ersten Jahren. Die Kechra waren aus dem Westen gekommen, aus Ländern, die eines Tages zum letheriischen Imperium gehören würden, die aber damals, vor unzähligen Jahrhunderten, kaum mehr als verfluchtes Ödland waren - von Fliegen wimmelnde Sumpfgebiete aus Torf und fauligem Eis. Die Kechra hatten schon früher Schlachten erlebt, waren ein zerrupfter,
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