SdG 12 - Der Goldene Herrscher
mitgenommener Haufen, und in einigen Versionen besagter Legenden wurde behauptet, dass die Kechra ihrerseits auf der Flucht gewesen seien - auf der Flucht vor einem gewaltigen, vernichtenden Krieg, der der Grund für ihre eigene Verzweiflung war.
Im Angesicht der drohenden Auslöschung hatten die Ahl gelernt, gegen solche Kreaturen zu kämpfen. Die Flut wurde verlangsamt, wurde aufgehalten - und dann wendete sich das Blatt.
Zumindest verkündeten das die Geschichten in hallenden, triumphierenden Tönen.
Rotmaske wusste es besser, obwohl es Zeiten gab, in denen er sich wünschte, dass dem nicht so wäre. Der Krieg endete, weil die wandernden Kechra die östlichsten Gebiete der Ahldan erreichten - und dann weiterzogen. Zugegeben, sie waren von den streitlustigen Vorfahren der Ahl übel zugerichtet worden, doch in Wirklichkeit waren ihnen die Angreifer beinahe gleichgültig gewesen - ein Hindernis auf ihrem Weg -, und der Tod so vieler Artgenossen war nichts weiter als eine weitere Prüfung in einer Geschichte schlimmer, tragischer Prüfungen, seit sie auf diese Welt gekommen waren.
Kechra. K’Chain Che’Malle, die Erstgeborenen der Drachen.
Rotmaske war der Meinung, dass Wissen weder schmackhaft war, noch Kraft gab. Als junger Krieger war seine Welt ein einzelner Knoten im Seil der Ahl gewesen, seine eigene bewusste Bindung an die lange, abgedroschene Geschichte alter Geschlechter. Er war nie auf die Idee gekommen, dass es so viele andere Seile gab, so viele miteinander verknüpfte Fäden; er hatte nie zuvor begriffen, wie gewaltig das Netz der Existenz war, oder wie sehr es sich seit der Nacht des Lebens verknäuelt hatte - seit jenem Augenblick, da alles, was lebte, entstanden war, geboren aus Täuschung und Verrat und dazu verdammt, bis in alle Ewigkeit kämpfen zu müssen.
Und Rotmaske hatte erkannt, was es bedeutete, zu kämpfen - in den überraschten Augen der Rodaras, in der zaghaften Furcht der Myrids; im ungläubigen Blick eines jungen Kriegers, der inmitten von Steinen und vom Wind zerfurchtem Sand starb; im begreifenden Blick einer Frau, die ihr eigenes Leben dem Kind übergab, das sie zwischen ihren Beinen ausstieß. Er hatte Alte gesehen - Menschen und Tiere -, die sich zusammengerollt hatten, um zu sterben; er hatte andere bis zum letzten Atemzug kämpfen gesehen, mit aller Willenskraft, die sie aufbringen konnten. Doch in seinem Herzen konnte er keinen Grund finden, keine Belohnung jenseits des ewig währenden Kampfes erkennen.
Selbst die Geistgötter seines Volkes stritten, schlugen zu und bekriegten einander mit den Waffen des Glaubens, mit Unduldsamkeit und dem süßen, tödlichen Trank namens Hass. Nicht weniger verworren und schäbig als irgendein Sterblicher.
Die Letherii wollten, und etwas zu wollen verwandelte sich stets in das moralische Recht, es zu besitzen. Nur Narren glaubten, dass so etwas unblutig abgehen könnte, egal ob es nur Absicht oder ausgeführte Tat war.
Nun, aufgrund der gleichen Beweisführung - mittels der ihr innewohnenden, raubvogelgleich schlagenden Logik - gab es auch ein moralisches Recht, sich ihnen zu widersetzen. Und die sich daraus ergebende Schlacht würde erst dann ein Ende finden, wenn die eine oder andere Seite ausgelöscht war. Oder, was noch wahrscheinlicher war: Beide Seiten waren dazu verdammt, dieses Schicksal zu erleiden. Diese letzte Erkenntnis war eine der Folgen von zu viel Wissen.
Und dennoch würde er weiterkämpfen.
Diese Ebene, durch die er und seine drei jungen Gefolgsleute sich bewegten, hatte einst den Ahl gehört. Bis die Letherii ihre Vorstellung von Eigennutz um das Stehlen von Land und die Vertreibung seiner ursprünglichen Bewohner erweitert hatten. Sämtliche Grenzzeichen und Totemsteine waren entfernt worden, die Felsblöcke lagen in Haufen herum; selbst die ringförmigen steinernen Fundamente, auf denen einst die Hütten aufgebaut worden waren, waren fort. Das Gras war zu tief abgeweidet worden, und hier und da gab es ein paar Stellen, an denen ein langer, rechteckiger Streifen Land umgebrochen worden war, weil man dort Getreide anbauen wollte; dicht daneben waren Zaunpfosten gestapelt. Aber Rotmaske wusste, dass dieser Ackerboden nicht gut war, dass er - mit Ausnahme des Bodens in den alten Flusstälern - schnell erschöpft war. Die Letherii würden vielleicht ein oder zwei Generationen hinbekommen, ehe die oberste Schicht Mutterboden davongeweht wurde. Er hatte die Ergebnisse östlich der Ödlande - im fernen Kolanse - zu
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