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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Zähnen, mit starren Augen die Schlange der angetretenen Jungen und krächzte kehlig: »Na, Feindesbrut, wollt ihr euch was Saubres holen?« In der Leitung war die pockennarbige Ordensträgerin nicht beliebt – sie galt als vorsintflutliche, zu prinzipientreue Revolutionärin. Die zweite Tante war sozusagen unsere Ernährerin, die Köchin; sie hatte ein puterrotes Gesicht, war ebenso fett wie die Kröte und bekam logischerweise den Spitznamen Sülze verpasst. Das einzige Wort, das sie für uns ewig Hungrige übrig hatte, wenn wir um Nachschlag baten, war – »verboten«, wonach sie uns den breiten Rücken zudrehte.
Über einen Brillenträger
    Der wohl einzige Mensch in diesem Leitungsklüngel war der alte Onkel Jefimytsch, der Rechnungsführer. Wenn jemand ihn fragte: »Sind Sie Buchhalter?«, antwortete er: »Nein, Rechnungsführer.« Der kahlköpfige Brillenträger galt bei uns als Sonderling. Erstens behandelte er uns wie seinesgleichen, zweitens lächelte er bei Begegnungen und fragte höflich: »Na, junger Mann, was macht das verquere Leben?« Natürlich konnte keiner von uns Knirpsen darauf antworten, denn wieso war unser Leben »verquer«? Etliche gingen ihm sogar aus dem Weg. Auf Jefimytschs beeindruckender Nase saß eine Brille mit dicken Gläsern. Zur Reinigung derselben hatte er immer ein spezielles weiches Läppchen bei sich, das mit einer Schnur an die Brusttasche seines speckigen Jacketts genäht war. Jedes Mal, wenn er die beschlagene Brille abnahm, schloss er die geröteten Augen, kehrte allen den Rücken zu und wischte die Gläser mit dem Läppchen sauber. Die Alten machten uns Knirpsen weis, Jefimytsch habe Angst, Taschendiebe könnten sein kostbares Läppchen klauen, und er müsse erblinden. Dieser Buchhalter beziehungsweise Rechnungsführer wirkte wie eine Gestalt aus einem alten Märchen.
Tante Mascha und Onkel Themis
    Zu den Erwachsenen in unserer nächsten Umgebung gehörten noch zwei: der Haushandwerker, wie er offiziell hieß, Onkel Themis (von Themistokles), ein Grieche,und Tante Mascha oder Tantchen, wie die Krümel sagten, genannt Mascha Kuhfuß. Onkel Themis konnte wirklich alles: bauen, sägen, hobeln, tischlern, schlossern, löten, streichen, spachteln, schleifen, schustern. Alle Verben männlicher Tätigkeit passten auf ihn. Die Leiterin Kröte beutete ihn gnadenlos aus. Er baute ihr ein Badehäuschen, setzte in ihrem Haus den Ofen neu, spannte die Leinwände, rahmte die Bilder, fertigte neue Türen und Möbel. Kurzum, er schuftete wie ein Sklave. Tag und Nacht konnte man ihn in seinem Winkel im Schuppen sehen, wo er eine Werkbank stehen hatte; dieses abgetrennte Kabuff mit einem winzigen Ofen war sein Zuhause. Wahrscheinlich hatte ihn das NKWD aus seiner heimatlichen Gegend ohne Rückkehrrecht nach Sibirien verbannt und unserem Kinderheim als Leibeigenen zugeteilt. Bei größeren Arbeiten erlaubte ihm die Kröte, sich ältere Jungs als Gehilfen zu nehmen. Das galt als Glück, denn der Meister entlohnte sie mit selbstangebautem Tabak, natürlich heimlich.
    »Onkel Themis, bist du ein alter Grieche oder einfach nur ein Grieche?«, fragten wir Dummchen ihn. »Speckwanne sagt, du bist ein alter Grieche.«
    »Was die so daherschwatzt. Ich bin Krimgrieche.«
    »Und bist du ein Spion oder ein Volksfeind?«
    »Weder noch.«
    »Weshalb bist du dann hier?«
    »Weil ich Krimgrieche bin.«
    »Lassen sie dich wieder zurück?«
    »Weiß ich nicht. Fragt Speckwanne, die weiß alles.«
    Tante Mascha wurde wegen einer angeborenen Behinderung Mascha Kuhfuß genannt. Ihr linker Fuß bestandnur aus der Ferse – einem »Huf«. Darum trug sie einen Spezialschuh und humpelte sonderbar. Sie war eine berüchtigte Schimpfkanone und Schnapsdrossel. Aber ein gütigeres Wesen als sie gab es weit und breit nicht. Den Krümeln steckte sie Leckerbissen zu – ein geputztes Möhrchen oder eine junge Rübe – und verarztete ihre Kampfwunden an Ellbogen und Knien mit Wegerich. Auch uns Knirpsen erleichterte sie das Leben, legte Kupfermünzen auf die ständigen Beulen oder strich Sonnenblumenöl auf die am Ofen verbrannte Hand und sagte zu dem Betroffenen: »Warum steckst du die Hand in den Ofen, willst du so das Feuer löschen? Nun hat es dich gerauft und gerupft, gezwickt und gezwackt.« Sie beschützte uns vor den Wächtern und beschimpfte sie mit so deftigen Ausdrücken, dass ihnen die Spucke wegblieb. Von unserer Leiterin hielt sie rein gar nichts und sagte, wenn sie etwas zu viel getrunken hatte, über sie:

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