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Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)

Titel: Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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Kühlschrank hatten wir nicht, nach einigen Stunden schmolz das Eis. Dann verteilten wir es an hungrige kleine Jungen. Das war eine Freude! Meine Frau verkaufte, ich holte die Ware heran, schleppte die Kisten – ich tat alles, wenn ich nur nicht verkaufen musste. Ich fühlte mich lange sehr unbehaglich.
    Früher dachte ich oft an unser ›Küchenleben‹ zurück … An die Liebe damals! Die Frauen! Diese Frauen verachteten die Reichen. Sie ließen sich nicht kaufen. Heute hat niemand mehr Zeit für Gefühle – alle verdienen Geld. Die Entdeckung des Geldes war wie die Explosion einer Atombombe …«
Davon, wie wir Gorbi liebten
und wie diese Liebe endete
     
    »Die Gorbatschow-Zeit … Massen von Menschen mit glücklichen Gesichtern. Frei-heit! Alle waren davon beseelt. Die Zeitungen fanden reißenden Absatz. Die Zeit der großen Hoffnungen – jeden Moment würde das Paradies anbrechen. Die Demokratie war für uns eine unbekannte Kreatur. Wir rannten wie verrückt auf Kundgebungen: Jetzt werden wir die Wahrheit über Stalin erfahren, über den Gulag, werden Rybakows verbotenen Roman Die Kinder vom Arbat lesen und andere gute Bücher – und werden Demokraten. Wie sehr wir uns irrten! Alle Radiosender schrien die Wahrheit hinaus … Schnell, schnell! Lest! Hört! Nicht alle waren dazu bereit … Die meisten Menschen waren nicht antisowjetisch eingestellt, sie wollten nur eines: gut leben. Wollten sich Jeans kaufen können, Videorecorder und, der Gipfel der Träume, ein Auto! Alle wollten schicke Kleidung und schmackhaftes Essen. Als ich Solschenizyns Archipel Gulag mit nach Hause brachte, war meine Mutter entsetzt: ›Wenn du dieses Buch nicht sofort wegbringst, werfe ich dich raus.‹ Der Mann meiner Großmutter war vor dem Krieg erschossen worden, und sie meinte: ›Waska tut mir nicht leid. Er wurde zu Recht verhaftet. Wegen seiner spitzen Zunge.‹ ›Warum hast du mir nie davon erzählt, Großmutter?‹, fragte ich. ›Mag mein Leben mit mir zusammen sterben, ihr sollt nicht darunter leiden.‹ So lebten unsere Eltern … und deren Eltern … Alles war glattgebügelt. Nicht das Volk hat die Perestroika gemacht, das war ein einziger Mann: Gorbatschow. Gorbatschow und ein Häuflein Intelligenzler …«
     
    »Gorbatschow ist ein amerikanischer Geheimagent … Ein Freimaurer … Er hat den Kommunismus verraten. Hat die Kommunisten auf den Müll geworfen, die Komsomolzen auf den Abfall. Ich hasse Gorbatschow, weil er mir die Heimat weggenommen hat. Meinen sowjetischen Ausweis bewahre ich auf wie meinen wertvollsten Besitz. Ja, wir mussten Schlange stehen nach bläulichen Hühnchen und faulen Kartoffeln, aber das war unsere Heimat. Ich habe sie geliebt. Für Sie war das vielleicht ›Obervolta mit Raketen‹, aber für mich war das ein großes Land. Russland ist für den Westen immer ein Feind, es wird gefürchtet. Ist ihnen ein Dorn im Auge. Keiner will ein starkes Russland – ob mit Kommunisten oder ohne. Sie betrachten uns als Rohstofflager – für Öl, Gas, Holz und Buntmetalle. Wir tauschen Öl gegen Unterhosen. Aber wir hatten mal eine Zivilisation ohne Klamotten und Plunder. Die sowjetische Zivilisation! Irgendwer wollte, dass sie verschwindet. Eine Operation der CIA … Wir werden schon von den Amerikanern regiert. Dafür haben sie Gorbatschow gut bezahlt … Früher oder später wird er dafür verurteilt werden. Ich hoffe, dieser Judas erlebt den Volkszorn noch. Ich würde ihm mit Vergnügen auf dem Schießplatz Butowo 4 einen Kopfschuss verpassen. (Er schlägt mit der Faust auf den Tisch.) Jetzt ist das Glück ausgebrochen, ja? Es gibt Wurst und Bananen. Wir wälzen uns in Scheiße und essen nur noch Fremdes. Statt der Heimat ein großer Supermarkt. Wenn sich das Freiheit nennt, dann brauche ich diese Freiheit nicht. Pfui Teufel! Sie haben das Volk erniedrigt bis zum Gehtnichtmehr, wir sind Sklaven. Sklaven! Unter den Kommunisten hat die Köchin den Staat regiert, wie Lenin gesagt hat: Arbeiter, Melkerinnen, Weberinnen – heute sitzen nur Banditen im Parlament. Dollarmillionäre. Die gehören ins Gefängnis, nicht ins Parlament. Beschissen haben sie uns mit der Perestroika!
    Ich bin in der UdSSR geboren, und mir gefiel es dort. Mein Vater war Kommunist, er hat mir mit der Prawda das Lesen beigebracht. An jedem Feiertag bin ich mit ihm zur Demonstration gegangen. Mit Tränen in den Augen … Ich war Pionier, habe das rote Halstuch getragen. Dann kam Gorbatschow, und ich konnte nicht mehr Komsomolze

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