S.E.C.R.E.T. 1
paar Tage später klingelte ein Kurier an meiner Tür. Ich rannte fast die Stufen hinunter, um ihm den Empfang für was auch immer zu quittieren. Ich war so aufgeregt, dass ich ihn beinahe geküsst hätte.
»Ich habe gesehen, dass Sie noch auf sind«, sagte er und deutete auf die Mansardenfenster im dritten Stock. Er war jung, vielleicht fünfundzwanzig, mit jener Art von Körper, die nur die aggressivsten Fahrradkuriere in einer Stadt bekommen können, die vollkommen eben ist. Und er war so verdammt süß, dass ich kurz erwog, ihn mit in meine Wohnung zu nehmen.
»Danke«, sagte ich und riss ihm den Umschlag aus den muskulösen Händen. Der Wind peitschte mir das Haar ins Gesicht und ließ meinen Bademantel um die Beine flattern.
»Oh, hier ist übrigens noch was«, sagte er und gab mir einen wattierten Umschlag in der Größe eines kleinen Kissens. »Es kommt ein Sturm auf. Ziehen Sie sich entsprechend an«, fügte er hinzu, warf einen anzüglichen Blick auf meine Beine und radelte dann winkend von dannen.
Auf dem Rückweg nach oben nahm ich zwei Stufen auf einmal und riss dabei den Briefumschlag mit der Karte auf. Darauf stand Schritt fünf: Furchtlosigkeit . Auf meinem Rücken bildete sich eine Gänsehaut. Außerdem war dort zu lesen, dass die Limousine mich ganz früh morgens abholen würde und dass »angemessene Kleidung« beigefügt sei.
Der Wind rüttelte an meinem Fenster. Ich war dankbar, dass Scott und ich erst ein Jahr, nachdem Katrina und ihre Schwestern Wilma und Rita die Stadt verwüstet hatten, hergezogen waren. Abgesehen von Isaac und ein paar Tropenstürmen, die Bäume abknickten und Fensterscheiben zerbrachen, hatte es seitdem keine Riesenkatastrophen mehr gegeben. An Regen hatte ich mich schon in Michigan gewöhnt. Allerdings nicht an die gefährliche Variante, mit der man es hier unten zuweilen zu tun bekam.
I ch öffnete den wattierten Briefumschlag und verteilte den Inhalt auf meinem Bett: enge, weiße Caprihose und eine blassblaue Seidentunika mit tiefem Dekolleté, ein weißer Schal, eine schwarze Sonnenbrille à la Jackie O und Espadril les mit Absätzen. Alles saß natürlich wie angegossen.
Am nächsten Morgen ließ ich den Wagen unten warten, weil ich versuchte, den Schal auf unterschiedliche Weise um den Hals zu drapieren. Schließlich band ich ihn einfach wie ein Halstuch um. Mein Spiegelbild wirkte jetzt fast schon vornehm. Selbst Dixie, die sich zu meinen Füßen ausstreckte, schien mit dem Anblick zufrieden zu sein. Aber nie werde ich Annas Gesichtsausdruck vergessen. Sie ist eine Bayou-Frau, eine Cajun, aufgewachsen in den schwer zugänglichen S umpflandschaften Louisianas. Als ich einen Knirps aus dem Schirmständer im Foyer nahm, schnaubte sie nur: »Wenn es stürmt, können Sie genauso gut ein Papierschirmchen von einem Cocktail nehmen.«
Ich fragte mich, ob ich ihr eine Erklärung schuldig war. Ob ich einen reichen Freund erfinden sollte, um zu verhindern, dass ihre Neugier im Hinblick auf die Limousine sich zu etwas Größerem und weniger Wohlwollendem auswuchs. Doch nicht heute. Keine Zeit.
»Morgen, Cassie«, sagte der Fahrer und hielt mir die Tür auf.
»Guten Morgen«, antwortete ich und versuchte dabei, nicht zu sehr zu klingen, als sei ich es gewöhnt, mitten auf der Marigny Street von einer großen, schwarzen Limousine abgeholt zu werden.
»Dort, wo ich Sie hinbringe, benötigen Sie das da nicht«, sagte er und deutete mit einem Kopfnicken auf meinen kleinen Schirm. »Wir lassen das graue Wetter hinter uns.«
Wie aufregend.
An diesem Morgen war nicht besonders viel Verkehr. Wenn überhaupt, dann schien er in entgegengesetzter Richtung zu fahren und nicht zu dem See, zu dem uns unsere Reise führte. In der Nähe des Pontchartrain Beach bogen w ir rechts ab. Wir fuhren am South Shore Harbor vorbei, der die wilde Küste umarmte, die ich von Zeit zu Zeit zwischen den Lücken im Damm ausmachen konnte. Das Wasser war aufgewühlt und wütend, obwohl noch kein Tropfen Regen gefallen war. Der Fahrer hielt sich links und fuhr über eine holprige Kiesstraße, sodass die Lagune zu unserer Rechten lag. Fünf Minuten später bogen wir erneut rechts ab, wieder auf einen kiesbedeckten Weg, der in einen Wald führte. Ich klammerte mich an den Ledersitzen fest. Mir war mulmig zumute. Schließlich kamen wir zu einer Lichtung im Unterholz. Dort stand ein dunkelblauer Helikopter, desssen Rotor gerade langsame, unheilverkündende Kreise drehte.
»Hm. Ist das ein Hubschrauber?«
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