Seefeuer
hinter uns«, murmelte er, fischte ein Handy aus der Jackentasche und
drückte ein paar Tasten.
»Ist dort die Polizei? Sie sollten
schnell einen Wagen schicken, hier hängt einer … na hier, im Wald, etwa einen
halben Kilometer oberhalb Wallhausen, rechts von der Landstraße nach Dettingen … Wie er heißt? Weiß ich doch nicht, denken Sie, ich fass den an? … Ach so, wie
ich heiße, meinen Sie? … Hallo, hallo?« Er drückte die Aus-Taste.
Ein frischer Wind war aufgekommen,
der Tote über ihm begann leicht zu schaukeln.
Mit geübten Griffen zog er sich die
weißen Latexhandschuhe von den Fingern. Nach einem letzten prüfenden Blick
machte er kehrt und lief mit raschen Schritten in den Wald hinein.
2
»Verdammte Hitze«, knurrte Hauptkommissar
Wolf apathisch und schloss sein Fahrrad ab. Um kurz nach sieben war das
Thermometer neben dem Eingang bereits auf satte vierundzwanzig Grad
geklettert. Das konnte ja heiter werden. Selbst unten am See, wo meist eine
leichte Brise wehte, war diese Hitze mehr als lästig.
Vollends unerträglich fand er sie im Dienstgebäude der
Überlinger Kripo. Das für eine Polizeidirektion ungewöhnlich moderne Bauwerk,
im Volksmund respektlos »Aquarium« genannt, protzte mit einer spiegelnden
Fassade aus Glas und Aluminium. Diese Außenhaut verwandelte die Innenräume
schnell in eine finnische Sauna, und entsprechend hitzig war mitunter die
Stimmung unter den Kollegen.
Wolf verscheuchte diese Gedanken. Er hatte Wichtigeres
zu tun, als sich über das Wetter den Kopf zu zerbrechen. Seit gut drei Wochen
hechelten sie hinter einer Gruppe von Rumänen her, die bei nächtlichen
Überfällen auf Banken im Bodenseeraum weit über eine Million Euro erbeutet
hatte, ohne dass man ihre Spur entdeckt, geschweige denn einen der Täter
gefasst hätte. Ihren letzten Coup hatten die Rumänen vor zwei Tagen in Owingen
gelandet. Die Täter gingen stets nach dem gleichen Muster vor: Sie klauten ein
schweres Fahrzeug, rissen mit dessen Hilfe den Tresor aus der Wand und
verschwanden damit in den umliegenden Wäldern. Wolf hätte sonst was drum
gegeben, den Fall endlich vom Hals zu haben.
Na ja, neuer Tag, neues Glück – vielleicht war ja
ausnahmsweise mal was dran an dem Spruch! Entschlossen machte er sich an den
Aufstieg zu seinem Büro. Seine Abteilung, das Erste Kriminaldezernat, kurz: D1,
befand sich im zweiten Stock, und auf die paar Treppen kam es nun auch nicht
mehr an. Er war bereits verschwitzt, schlimmer konnte es nicht kommen.
Joanna
ließ den Arm aus dem Autofenster baumeln und genoss den warmen Fahrtwind. Fast
wie in der alten Heimat, dachte sie und ließ die Schranke hoch, die die
Einfahrt auf den Parkplatz der Polizeidirektion freigab.
An Tagen wie diesem überkam Joanna Louredo, von ihren
Kollegen nur Jo genannt, manchmal so etwas wie Wehmut. Sie war sich sicher,
ihre Eltern würden noch immer in Deutschland leben, gäbe es mehr Sommer wie
diesen. Ende letzten Jahres hatten sie endgültig vor dem deutschen Wetter
kapituliert und waren nach Portugal zurückgekehrt, um sich in Vigo von ihrem
Ersparten ein kleines Hotel zu kaufen.
Jo war in Baden-Württemberg geblieben. Sie hatte hart
für ihre Laufbahn als Kommissarin bei der Kriminalpolizei gearbeitet. Nach der
Landespolizeischule in Freiburg war sie vor etwa einem halben Jahr als
frischgebackene Kriminalhauptmeisterin und Kommissarsanwärterin zur Kripo
Überlingen gekommen. Die Arbeit hier machte ihr Spaß, auch wenn sie nicht mit
allen Kollegen auf Anhieb klarkam. Aber das war ein anderes Thema. Jetzt musste
sie erst mal einen freien Parkplatz ergattern.
So spendabel sich das Land beim Neubau des
Dienstgebäudes auch gezeigt hatte, die schon immer knappe Parkfläche war
seinerzeit nicht erweitert worden. Da vorne, in der zweiten Reihe, war da nicht
eine Lücke? Tatsächlich! Jo drückte erleichtert den Fuß aufs Gaspedal und
steuerte den freien Platz an, als plötzlich ein roter Flitzer frech an ihr
vorbeiröhrte und die Lücke schloss.
Jo bekam einen roten Kopf. »Dieser Arsch!«, entfuhr es
ihr. Das war Kalfass! Ludger Kalfass, Jos Kollege und Intimfeind. Vor zwei
Jahren hatte ihn das Personalamt als Kriminalobermeister in Überlingen
»abgestellt«, seitdem klebte er an diesem Stuhl. Kein noch so übertriebener
Eifer hatte daran etwas zu ändern vermocht.
»Liebenswürdig wie immer«, konnte sich Jo einen
Kommentar
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