Seehaie
durchführte.
Wolf hielt den Moment für gekommen, der offenbar
ahnungslosen Frau reinen Wein einzuschenken. »Frau Ploc, wir haben leider eine
schlechte Nachricht …«
Plötzlich hing die Frau mit großen Augen an seinen
Lippen. »Nachricht? Was für eine Nachricht? Reden Sie schon …«, rief sie
schrill. Ostberg schaute aufmerksam zu ihnen herüber.
»Ihr Mann … er hat sich heute morgen das Leben
genommen.«
Es war, als hätte Sonja Ploc überhaupt nicht zugehört.
Sie verzog keine Miene, verharrte starr auf der Stelle. Langsam, ganz langsam
versteinerte sich ihre Miene, endlose Sekunden verstrichen. Sie flüsterte kaum
hörbar: »Was ist passiert? … Wo ist er?«
Jo sagte es ihr. Dann trat sie auf die mit einem
Schlag um Jahre gealtert wirkende Frau zu und strich ihr sanft über den Arm. In
solchen Situationen war Wolf dankbar, eine einfühlsame Kollegin bei sich zu
haben. Gerade heute war das besonders wichtig, denn für Sonja Ploc war längst
nicht alles vorbei, sie würde ihnen noch Rede und Antwort stehen müssen.
Zum wiederholten Mal tupfte sich Wolf den Schweiß von
der Stirn, ehe er sich räusperte. »Frau Ploc, fühlen Sie sich in der Lage, uns
ein paar kurze Fragen zu beantworten?«
Die Frau wischte sich die Tränen aus den Augen und
nickte schwach.
»Haben Sie eine Erklärung für den Freitod Ihres
Mannes?«
Sie zögerte mit der Antwort. »Ich weiß nicht …
natürlich, es ging uns nicht gut … gar nicht gut … das Geld, wissen Sie …« Sie
brach ab und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
»Erkennen Sie diese Schrift?« Er zeigte ihr den
Zettel, den sie bei dem Toten gefunden hatten.
»Ist Stanis Schrift«, murmelte sie und brach erneut in
Tränen aus.
»Sind Sie sicher? Schauen Sie sich den Zettel genau
an.«
»Ja, ist.«
Jo reichte ihr ein Taschentuch. »Besitzen Sie ein
Auto? Und wenn ja, wo ist es?«
»Ist in Werkstatt.«
»Noch eine letzte Frage, Frau Ploc: Haben Sie Kinder?«
»Drei. Sind zurzeit in Polen. Ferien, wissen Sie …«
»Danke. Möchten Sie, dass wir Sie nach Hause fahren?«
»Nein, ich habe Fahrrad, ist nicht weit.«
Im Weggehen machte Wolf noch einmal kehrt: »Ach, doch
noch eine allerletzte Frage, entschuldigen Sie: Ist Ihnen bekannt, ob Ihr Mann
eine Lebensversicherung hatte?«
»Davon weiß ich nichts, hat Stani nie darüber
gesprochen.«
***
Plocs
Arbeitgeber, die Hohbau G mb H , hatte ihren Firmensitz in
Markdorf. Der schnellste Weg dorthin führte über die B31 am See entlang bis
Meersburg. Von dort ging es noch etwa zehn Kilometer landeinwärts in Richtung
Ravensburg. Alles in allem war die Strecke, freie Straßen vorausgesetzt, in gut
vierzig Minuten zu schaffen. Jo brauchte knapp dreißig. Wolf versuchte, sich
auf der Fahrt ins Unvermeidliche zu fügen, lenkte sich ab, indem er die Segel
auf der schimmernden Seeoberfläche zählte oder die Namen der am
gegenüberliegenden Ufer verstreut liegenden malerischen Ortschaften vorwärts
und rückwärts aufsagte. Er wusste: Jos Temperament zügeln zu wollen war ein
hoffnungsloses Unterfangen, also ließ er sie gewähren. Manchmal hatte ihre
Power ja auch Vorteile: Wo Kalfass noch abwog, hatte Jo bereits gehandelt, und
das war dem D1 mehr als einmal von Nutzen gewesen.
Kurz hinter Meersburg rief Kalfass auf Wolfs Handy an.
Unter Plocs Sachen war auch dessen EC -Karte
gewesen, und da Wolf im Moment finanzielle Schwierigkeiten als das
wahrscheinlichste Motiv für den Selbstmord annehmen musste, hatte er Kalfass
angewiesen, Plocs Bank etwas auf den Zahn zu fühlen.
»Was die Plocs und ihre finanziellen Verhältnisse
angeht, Chef, da hatten Sie recht. Der Filialleiter wollte zwar nicht mit
konkreten Summen herausrücken, verschanzte sich hinter dem Bankgeheimnis, das
kennen wir ja. Aber so viel konnte ich ihm dann doch entlocken: Die Plocs waren
für ihre Verhältnisse recht hoch verschuldet. Und jetzt halten Sie sich fest:
Kurz vor mir hatte ihm jemand vom ›Seekurier‹ dieselben Fragen gestellt. Eine
Frau.« Dann, als Wolf nicht gleich antwortete: »Sind Sie noch dran, Chef?«
»Äh … ja, die Dame ist uns bekannt. Wir fahren jetzt
nach Markdorf zu Plocs Arbeitgeber. Sonst was Neues?«
»Wir haben das Fahrzeug sichergestellt, das die
Rumänen bei ihrem letzten Raubzug benutzt haben, und zwar in einem
aufgelassenen Heuschober, vier Kilometer vom Tatort entfernt.«
Warum nur hörten sich bei Kalfass solche Nachrichten
immer an, als sei die Entdeckung sein ganz persönliches Verdienst?
»Bleib
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