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Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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eine Freude machen. Zwischendurch mahnte er die restlichen Männer, die sich durch Hinzukommen weiterer Techniker auf etwa achtzehn vermehrt hatten, zur Ruhe. Ohne sich um unser intimes Gespräch zu kümmern, stieß ein gleichgültig blickender Mensch mit einem Metermaß bis zu meiner Nasenspitze vor und schaltete dann noch einen Scheinwerfer zu den übrigen ein. »Bleiben Sie mal so«, rief eine Stimme aus dem Hintergrund. Ich fühlte mich an Verkehrsunfälle erinnert, wo ja auch immer beleuchtet und gemessen wird. »Na, wie kommt sie?« rief einer durch die Pappwand in ein noch heiligeres Allerheiligstes. »Bestens!« rief es zurück.
    Dies Wort hinderte mich, einfach aufzustehen und wegzulaufen. Ich fragte, wo eigentlich die Kamera sei und wo das Loch in ihr, durch das sie mich sah. Als ich die Stelle gezeigt bekam, lächelte ich stur dort hinein. Aus dem Nebenraum sagte eine Stimme, nun solle ich mal mit dem Text anfangen. »Sprechen Sie ganz zwanglos«, sagte der Ahnungslose. Ach, der Text, der mir schon zu Hause über meinen Kochtöpfen nicht recht gefallen hatte, klang hier, ins Gesicht eines gelangweilt zahnstochernden Feuerwehrmannes gesprochen, völlig schwachsinnig. Ich sprach zwanglos, nämlich so, wie ich sonst auch spreche, aber damit war es nichts. Einer der wichtigen Männer kam aus seinem gläsernen Vogelbad hervor und sagte mir, ich dürfe nicht mit dem Kopf hin und her wedeln, mich nicht vorneigen und schon gar nicht zurück, mit den Pupillen nicht weiter nach rechts oder links ausweichen, als die Kamera breit sei, und solle außerdem langsamer sprechen und nach der dritten Pause etwas länger lächeln. Mein Versuch, natürlich zu wirken, scheiterte nunmehr vollkommen, und ich war sehr erleichtert, als ich mein Stühlchen verlassen durfte. Es wollte jetzt jemand anders probieren, der nach oder vor mir in der Sendung drankam, und ich durfte mich im Regieraum erholen. Dort war es wohltuend dämmerig nach den grellen Scheinwerfern, wenn auch wieder voller Männer. Ein bis drei saßen hinter einer Art Büfett voller Hebel, Schalter und Armaturen und hielten den Blick starr auf drei Bildschirme an der Wand gerichtet, auf denen man sah, was nebenan geschah. Einer der Männer hatte ein Kehlkopfmikrophon und glich einem Piloten kurz vor der Blindlandung. Ebenso wie dieser schien er auf alles gefaßt. Obwohl das meiste schiefzugehen drohte und durch das beständige Hereinstürzen weiterer wichtiger Männer ein unangenehmer Luftzug herrschte, blieb er ruhig, gebrauchte niemals Kraftausdrücke, legte manchmal einen Schalter herum, und dann erscholl seine Stimme nebenan im Atelier wie die des olympischen Zeus.
    Auf dem Wege ins Kasino kam ich an einem seltsamen Individuum im Hof vorüber, das mir unaufgefordert einen vorgedruckten Zettel zusteckte: Wirst du nicht damit fertig? So will ich für Dich beten. Es folgte eine Adresse und Telefonnummer. Hatte man es mir angesehen, wie mir zumute war? Oder war der Mann irgendwie an den Fernsehsender angeschlossen?
    Das Essen im Kasino schmeckte mir nicht, weil zwei der wichtigen Männer neben mir aßen und sagten, nachmittags bei der Sendung solle ich dann bitte noch langsamer sprechen und die etwas kesseren Bemerkungen weglassen, sonst erschräken die Hausfrauen am Bildschirm vielleicht.
    Ich ging in mein Hotel und strich alle kessen Stellen aus meinem Gedächtnis. Als ich glaubte, nun seien meine Worte auch den Insassen einer Anstalt für geistig zurückgebliebene Kinder verständlich, war es Zeit, wieder zum Sender zu gehen. Nun erfuhr ich auch, warum man mich schon eine Stunde vorher bestellt hatte. Es kam eine nette, tüchtige Frau, setzte mich in eine der Garderoben, kämmte mir die Haare und stäubte mir allerlei ins Gesicht. Irgendeine Zauberei aber muß dabeigewesen sein, denn als ich wieder in den Spiegel sah, war ich eine retuschierte, sehr geschmeichelte Porträtstudie meiner selbst, wie sie in den Glaskästen der berühmten Fotografen hängen. Aus dieser erfreulichen Selbstbetrachtung scheuchte mich erst eine neue glühende Welle Lampenfieber auf (Zähneklappern, Schweißausbrüche, Schluckkrämpfe, Trockenheit im Hals), und dann kam einer der wichtigen Männer, auf Zehenspitzen, mich abzuholen. Damit ich in der Flut von blendendem Licht nicht über die Kabel stolperte, führte er mich wie eine Blinde. Die Sendung war in vollem Gang. Die Kamera schaute vorläufig in eine andere Ecke, doch ich mußte schon auf dem Marterstühlchen Platz nehmen, damit sie

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