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Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Ausfahrt zu machen. (Der Stock verhakte sich anfangs mit der Gangschaltung, und Papa stellte manchmal heimlich ein Pilzkörbchen auf die Handbremse, in der Hoffnung, daß wir nachher im Wald halten würden. Er hatte ebensowenig Erfahrungen mit Autos wie Dicki und ich.) Dicki, nun längst zu groß, um noch auf den Schoß genommen zu werden, verflocht im Fond seine Beine mit den meinen, zappelte, wenn er meinte, hier sei es schön, hier müsse man aussteigen, und widmete sich zwischendurch seinen lateinischen Schularbeiten (»Kimon unterwarf durch sein bloßes Erscheinen die auf ihren Reichtum pochenden Thasier«),
    Hochwürden besaß von Haus aus keinen Kofferraum, was ihm das Profil eines Mannes mit Turmschädel und ohne Hinterkopf gab. Schon aus rein ästhetischen Gründen mußten wir ihm einen Blechbehälter kaufen, den man hinten anbringen und in dem man einiges Gepäck verstauen konnte, wenn man bescheiden war.
    Als er uns etwa ein halbes Jahr treu herumkutschiert hatte, bekam er zur Belohnung eine Garage. Zu Wellblech konnten wir uns nicht entschließen, es hätte zu scheußlich ausgesehen. Michael rodete den Flieder, unter dem wir als frischvermähltes Paar so ungünstig fotografiert worden waren, mit Stumpf und Stiel und schmiegte die hölzerne Garage mit Hilfe der Nachbarssöhne so zwischen Tanne und Blutbuche hinein, daß es aussah, als habe sie schon immer dort gestanden und sei eingewachsen.
    Es traf sich glücklich, daß gerade um diese Zeit das Hausdach mit sogenannten Zementpfannen gedeckt wurde. Von den Schindeln, die mit einer Art Fisch-Schupper heruntergerissen wurden, waren manche noch brauchbar und wurden an die Wetterseite der Garage genagelt, die dadurch eine vorzeitige Patina bekam. Hochwürden fühlte sich wohl darin, mußte aber bei Kälte in bei Kriegsende organisierte, muffig riechende Militärdecken verpackt werden.
    Trotz allem: er war mit seinen wassergekühlten Eingeweiden den harten Bedingungen des Alpenvorlandes nicht gewachsen. Nicht, daß ich ihn bedauerte, ich machte es ihm zum Vorwurf. Ein zärtliches Verhältnis zwischen ihm und mir hat sich niemals bilden können. Vielleicht wurde es auch im Keim erstickt durch das Ansinnen, daß ich den Führerschein machen sollte.
    Es gab einen kurzen, fürchterlichen Kampf in meinem Inneren: Reste der Minderwertigkeitskomplexe von früheren, schlecht ausgeübten Sportarten wurden endlich von dem Gedanken überwältigt, daß ich mich vor Michael, wenn ich schon nicht zäh und braunäugig war, wenigstens mutig zu erweisen hätte. So wanderte ich denn einmal wöchentlich in Seehams Wirtshaus, wo der Fahrlehrer Unterricht erteilte. Dort saß ich in einem schlecht beleuchteten, rauchigen Nebenzimmer zwischen pickeligen Jünglingen, die Bier tranken, und bekam erklärt, daß die Seilzugbremse deswegen so gefährlich ist, weil ein Bremsseil reißen kann, die Öldruckbremse aber noch gefährlicher, weil man aufgeschmissen ist, wenn das Öl ausläuft. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, daß das Auto ein Wesen ist, das dem Menschen nach dem Leben trachtet. Nun sah ich meine schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Die Steuerung konnte blockieren, die Kolben fressen, das Getriebe zerspringen. Ich geriet in eine düstere, rein männliche Welt.
    Als ich mich dann selber hinters Steuerrad setzte, schien mir, es seien hier beim besten Willen das Wollen und Vollbringen nicht in Einklang zu bringen. Hochwürden ruckte und hopste, wenn ich noch so konzentriert anfuhr, ja bereits, wenn ich beim Kupplungtreten die falschen Schuhe anhatte. Er gab meine schlechten Charaktereigenschaften mit der Lieblosigkeit eines Zerrspiegels wieder, bockte und schlingerte, wenn ich nur eine Sekunde den Blick schweifen ließ, ungeduldig wurde, verzweifelte. Meist war ich noch vom Vorgang des Anfahrens so erschüttert, daß ich zu steuern vergaß. Irgendwas konnte das blöde Vehikel ja auch mal selber machen. Die Fahrstunden spielten sich in und um die kleine Kreisstadt ab, wo alle unangenehmen Operationen der letzten Jahrzehnte stattgefunden hatten. Auch dieser fühlte ich mich hilflos ausgeliefert. Wenn eine Frau in der Ferne meine Fahrbahn überquerte, rief ich ihr im Geist zu: »Unglückliche! Haben Sie Kinder? Gehen Sie aus dem Weg!«
    An den Kreuzungen schlug der Fahrlehrer oft beide Hände vors Gesicht und klagte: »So, jetzt fahren die anderen Auto, und wir steh’n da!« Mancher Verkehrsschutzmann, den ich umrundete, mußte die Mütze abnehmen und sich mit allen zehn

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