Seekers 03: Auf dem Rauchberg
und er weiß, wie wir den Rauchberg umgehen können! Wir brauchen ihn!«
»Er würde mit uns kommen, wenn er könnte«, antwortete Ujurak. »Aber diese Reise haben wir anzutreten, nicht er.«
Den Kopf zur Seite gelegt, starrte Lusa ihn an. »Du meinst, du willst nicht, dass er mitkommt?«
»So ist es nicht.« Der Wind frischte auf und einige glänzend grüne Blätter segelten zwischen ihnen auf den Boden. Ujurak senkte den Kopf und berührte eines davon mit der Nase. Er sah traurig aus. »Er ist so alt und müde, Lusa. Die Zeit ist gekommen, dass seine Seele allein weiterziehen muss.«
Lusas Krallen bohrten sich in den Boden. »Nein!«, knurrte sie. »Das stimmt nicht, was du da sagst!« Sie vergaß das Moos und rannte zurück zu Qopuk. Der alte Eisbär atmete noch, doch jetzt waren seine Atemzüge langsamer und flacher, und die Flanken bewegten sich kaum. Lusas Herz wurde schwer. Qopuks Müdigkeit ging über jeden Schlaf hinaus. Ujurak hatte recht – er würde diesen Ort nie mehr verlassen.
Kallik hatte sich dicht neben den alten Bären gelegt. Ihr Fell wirkte strahlend weiß neben Qopuks grauem, platt gedrücktem Pelz und im Vergleich zu seinen eingefallenen Rippen war ihr seidig glänzender Bauch geradezu rund.
»Qopuk?«, flüsterte Lusa.
Der alte Eisbär öffnete ein Auge. Es war trüb und glasig. »Bitte, geht nicht weg, ihr Jungen«, sagte er mit einer Stimme, die knarrte wie Baumstämme im Wind. »Es dauert jetzt nicht mehr lange.«
»Kannst du nicht bleiben?«, flehte Lusa. »Bleib bei uns. Wir brauchen dich. Wir können zusammen zur Letzten Großen Wildnis ziehen. Bitte!«
Qopuk seufzte tief. »Ihr müsst vorsichtig sein«, mahnte er. »Der Rauchberg ist gefährlicher, als ihr euch vorstellen könnt. Aber die Letzte Große Wildnis ist wirklich … und ihr werdet sie auch ohne mich erreichen, tapfere kleine Bären.« Sein Auge schloss sich wieder.
Lusa kauerte neben Kallik und drängte sich an die Schulter des alten Bären. »Qopuk«, flüsterte sie.
»Er ist gestorben«, erklang Ujuraks Stimme von hinten.
Einfach so? Lusa betrachtete die weiße Fellmasse. Sie war noch warm, aber etwas war anders. Wo vorher ein Gefühl von Müdigkeit und Sorge geherrscht hatte, war jetzt nur noch Leere. Es war mehr als Stille, mehr als Unbewegtheit. Qopuks Seele war von ihm gegangen.
Sie blickte sich um in der Hoffnung, sie vielleicht in einen der Bäume schlüpfen zu sehen. Mit Sicherheit war ein sehr großer Baum dazu nötig, die Seele eines Bären wie Qopuk zu beherbergen. Aber bei Eisbären war ja alles ganz anders, nicht wahr? Sie wurden nicht unter Bäumen geboren. Was geschah, wenn sie, wie Qopuk, weit entfernt von der gefrorenen Welt starben, die sie so liebten? War dann in den Bäumen noch Platz für einen Bären wie ihn?
»Was passiert mit der Seele eines Eisbären?«, wandte Lusa sich an Kallik. »Die der Schwarzbären gehen in die Bäume ein. Manchmal kann man ihre Gesichter in der Rinde erkennen.«
Kallik senkte die Schnauze und sah Lusa an. Ihr Blick war traurig und besorgt. »Sie werden ein Teil des Eises«, erklärte sie. »Und wenn das Eis dann schmilzt, gehen sie in den Himmel ein, um sich den Eisseelen anzuschließen. Ich weiß aber nicht, was passiert, wenn gar kein Eis da ist. Vielleicht kommt Qopuk direkt in den Himmel?« Sie blickte nach oben, wo die Sonne durch das Blätterdach hereinstrahlte.
»Klingt einleuchtend«, meinte Ujurak.
Das fand Lusa auch. »Es ist so traurig«, klagte sie. »Sein ganzes Leben lang wollte Qopuk zur Letzten Großen Wildnis – und dann stirbt er auf dem Weg dorthin. Jetzt wird er sie nie sehen, nachdem er so lange davon geträumt hat.«
Kallik erhob sich und scharrte unruhig auf dem Boden. »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, gestand sie. »Irgendwie habe ich das Gefühl, wir sollten etwas sagen, aber ich weiß die richtigen Worte nicht. Meine Mutter ist nicht dazu gekommen, sie mir beizubringen.« Ihre Stimme zitterte und sie grub ihre Nase in Qopuks Fell.
»Kennst du dich damit aus, Ujurak?«, fragte Lusa.
Er schüttelte den Kopf. »Braunbären bedecken ihre Toten mit Laub und Erde«, erklärte er, »damit ihre Seelen den Weg zurück zum Großen Lachsfluss finden. Vielleicht sollten wir das auch bei ihm machen?«
Kallik nickte. »Wir können ihn jedenfalls nicht einfach so liegen lassen. Er sieht … einsam aus.«
Lusa verstand, was sie meinte. Sie hob einen Zweig aufund legte ihn auf Qopuks Rücken.
Kallik schaufelte mit einer Tatze einen
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