Seelenbrand (German Edition)
»wären wir wohl wieder da, wo wir schon einmal waren.« Er erhob sich und griff seine Mauser. »Wo ist dieses Pergament, von dem Bruder Severin gesprochen hat?«
Pierre kreuzte seine Arme vor der Brust. »Erstens habe ich Ihnen schon einmal gesagt, daß wir dieses Schriftstück nicht in unserem Besitz haben, und zweitens würde ich gerne wissen, warum Sie sich für dieses Märchen mit den sieben Himmeln überhaupt interessieren?«
»Ein Märchen?« Von Rittenbergs Mundwinkel zuckten. »Aber ein Märchen voller Gift! Es füllt bereits große Aktenschränke in unserer Dienststelle. Dagegen ist diese Diskussion um die Person Jesu Christi völlig ohne Bedeutung! Wie ich bereits sagte: Stellen Sie sich vor, die grasenden Schafe erfahren plötzlich, daß es nicht der Hirte ist, der sie hütet ... sondern der Wolf!«
»Sie wollen uns also immer noch weismachen, daß Bruder Severin die Wahrheit gesagt hat?« Ihre Skepsis war mal wieder nicht zu überhören.
»Meine Liebe, ich will es Ihnen einmal ganz einfach erklären. Die Menschen verhalten sich etwa so ... sagen wir ... wie eine Handvoll verfressener Mäuse, die sich jeden Tag fürchterlich um ein Käsestückchen streiten. Sie kämpfen darum ... sie töten vielleicht sogar dafür, ihr Leben ist geprägt von Neid, Mißgunstund Haß. Aber den wichtigsten Punkt in ihrem Leben ... den hat diese verkommene Meute völlig übersehen!« Er blies eine große Rauchwolke in die Luft. »Wenn sie sich da also gegenseitig bestehlen, jagen und morden ... dann tun sie dieses während sie sich bereits alle im Schlund einer riesigen Katze befinden. Sie sind alle des Todes ... ganz egal, wer der Mörder oder der Ermordete ist! Es macht keinen Unterschied mehr, wer im Besitz dieses Käsestückchens ist, oder wer der Sieger und wer der Besiegte ist! Sie sind allesamt verloren!« Er sah den Rauchkringeln nach. »Was würde diese verkommene Meute wohl machen, wenn sie wüßte , daß sie bereits ... alle zusammen ... im Schlund dieser Katze säßen? Würden sie sich ändern und das Stückchen Käse miteinander teilen, weil sie ohnehin dasselbe Schicksal erwartete, oder würden sie kopflos und in Panik auseinanderrennen, weil sie den Gedanken nicht ertragen könnten, an den Pforten des Todes zu stehen?«
»Gott ist tot!« murmelte Pierre. »Er hat ihn umgebracht!«
»Ja. Die Worte Ihres Totengräbers, als ihn der Wahnsinn übermannt hat. Abbé Saunière hat ihn wohl leichtfertig in seine Schlußfolgerungen eingeweiht.« Von Rittenberg wußte wirklich über jedes Detail Bescheid. »Da bekommen Sie eine kleine Vorstellung davon, was uns allen droht, wenn sich dieses Gift verbreitet.« Er betrachtete seine Waffe. »Und um das zu verhindern, sind wir hier.«
Marie hielt es nicht mehr auf ihrer Kiste. »Sie sind doch nicht ganz bei Trost ... Sie ... Sie Spinner!« schrie sie. »Mir ist es völlig egal von welcher Kirchendienststelle Sie kommen!«
Von Rittenberg machte einen Schritt rückwärts und wartete ängstlich auf das Ende des Feuerwerks.
»Erst erzählen Sie uns diese Lügen über unseren Herrn, und jetzt benutzen Sie unseren verwirrten Bruder Severin für Ihre Höllengeschichte! Sie wollen uns wohl für dumm verkaufen!« Sie feuerte aus allen Rohren. »Und für alles soll mein eigener Vater verantwortlich sein?« Ihre Augen glühten. »Sie geisteskranker Zwerg! Sie ...«
»Kann ich etwas dafür«, piepste er, »wenn Ihr Vater seine Neugierde nicht zügeln konnte und auf etwas gestoßen ist, das weit häßlicher war, als das, was er erwartet hat?«
»Ach!« Ihre Augen funkelten. »Jetzt machen Sie ihn auch nochdafür verantwortlich, daß diese ... diese ... Legende über die gefallenen Engel aus den sieben Himmeln existiert?«
»Nein!« Von Rittenberg nahm all seinen Mut zusammen. »Wir werfen ihm vor, daß er zu unvorsichtig mit seinem Wissen umgegangen ist.«
Sie schwieg und wartete auf eine Erklärung.
»Sehen Sie sich das da draußen an!« piepste von Rittenberg aufgeregt. »Ich weiß nicht, wie alt diese dämonische Halle mit dem Pentagramm ist, aber es war Ihr Vater, der das Böse da draußen zu beschwören versuchte. Nicht ich !«
»Lügner!« schrie sie. »Lügenzwerg!«
»Seine Neugier ist ihm zum Verhängnis geworden!« piepste die graue Maus, so laut sie konnte. »Monatelang hat er sich wie besessen in Bibliotheken und Archiven vergraben, um den Teufel in den Legenden dieser anderen Völker aufzuspüren. Und alles nur aus dem einen Grund: Er wollte jedem beweisen,
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