Seelenbrand (German Edition)
und die Villa stehen noch!«
»Tatsächlich!« Pierre wischte sich den Staub aus den Augen und blinzelte zu seinem Heim herüber. Die Explosionen in der Tiefe waren verstummt, und eine leichenhafte Stille hatte sich ausgebreitet.
Die Menge murmelte vor sich hin. Ist das ein Fingerzeig Gottes? Ein Wunder? Er machte vorsichtig einige Schritte in Richtung seiner äußerlich völlig unversehrten Bleibe. Plötzlich löste sich ein einzelner Dachziegel, rutschte vor seinen Augen schabend über das Dach, um dann, über dessen untere Kante, in die Tiefe zu stürzen und auf dem Boden zu zerschellen. Augenblicklich vernahm er ein tiefes Grollen unter seinen Füßen. Der Boden erzitterte, und die Meute hinter ihm schrie auf! Gleichzeitig begann das Gebäude vor ihm zu knistern und zu knacken. Alssich der lange Riß in der Wand des Pfarrhauses auftat, zog es Pierre vor, sich zurück zu den anderen zu begeben.
Mit offenem Mund verfolgten die Gaffer, wie sich der Spalt in der Wand knirschend ausdehnte und von der Rückseite des Pfarrhauses auf die angrenzende Villa übersprang und dort blitzschnell die Wand bis zum Dach hochzischte.
»Komm! Zurück!« flüsterte Pierre Marie zu, während er unablässig die beiden Gemäuer fixierte.
Es herrschte eine gespenstische Ruhe.
Dann ein Grollen, Knarren und Knacken! Mit rasender Geschwindigkeit hatte sich plötzlich vor dem Pfarrhaus ein Graben geöffnet, nur wenige Meter vor ihnen. »Vorsicht!« schrie ein Mann. Und schon hatte die Hölle ihr riesiges Maul aufgerissen und verschlang unter dem Gekreische der Meute beide Gemäuer in einem Stück. So schnell, daß diese nicht einmal zusammenstürzen konnten, bevor sie von den Mächten der Erde verschluckt wurden. Die augenblicklich aus dem Loch herausquellende Staubwolke verharrte einen Moment über dem Höllenschlund, bevor sie von einem heißen Atem über die Zuschauer gejagt wurde. Unter Gehuste und Gepruste versuchten die Neugierigen einen Blick auf das klaffende Loch zu erhaschen, dessen Rand nur wenige Schritte vor ihnen lag.
»Mein Gott!« flüsterte Pierre, als sich die Wolken aus Staub und Asche allmählich setzten.
»Es ist alles weg!« schluckte Marie.
Er nahm sie bei der Hand, und sie gingen langsam am Rand des gigantischen Kraters entlang, in dessen Tiefe schwarze Stille herrschte. Hier und da rieselte noch Sand und Geröll nach, aber sonst regierte das Nichts. Das Ungeheuer in der Tiefe war satt.
Wie betäubt ließen sie die lärmende Menge hinter sich.
»Sieh dir das an!« flüsterte er. »Das ganze Areal hier rechts der Dorfstraße war untertunnelt! Alles, was über dem Gängesystem stand ... der Friedhof, das Pfarrhaus ... die Villa und der Bücherturm ... und ...« Er griff Marie plötzlich bei den Schultern. »Wo ist Jacques, unser Totengräber?« rief er aufgeregt. »Sein Haus war das einzige, das auf dieser Seite der Straße lag und ...«
»Keine Sorge!« Marie versuchte ihn zu beruhigen. »Er stand gerade mit Bruder Severin bei den anderen!«
»Gott sei Dank!« Erschöpft ließ er seinen Kopf sinken undblickte nachdenklich in den riesigen Krater, der fast die Hälfte der Fläche des Dorfes einnahm. »Alles weg! Zermalmt ... und begraben ... für immer!«
»Vergiß nicht die beiden Goldsäcke in meiner Küche!« flüsterte sie, nachdem sie sich vergewissert hatte, daß sie niemand belauschte.
Aber Pierre hatte ihr gar nicht zugehört.
»Das Tor zur Hölle!« murmelte er, während er gebannt in die Tiefe starrte.
»Du glaubst diesem wahnsinnigen von Rittenberg doch nicht etwa ...«, sie drängte sich neben ihn und reckte ihren Hals über den Kraterrand, »daß wir uns hier auf der Erde ... in Wirklichkeit beim Teufel in der Hölle befinden?«
Pierre schwieg eine Weile.
»Sollen wir nachsehen?« fragte er schließlich und zog von Rittenbergs Notizbuch aus der Tasche. Das goldene Pentagramm blitzte in der Sonne. »Dieses kleine Büchlein«, er tippte auf den Stern, »enthält alle Antworten auf die Fragen, die die Christenheit seit Jahrhunderten bewegen«, flüsterte er und sah Marie dabei tief in die Augen. »Wollen wir wirklich den Beweis dafür sehen, daß wir uns in der ... Hölle ... befinden?«
Sanft lächelnd legte sie ihre Hand auf seinen Arm. »Macht es denn einen Unterschied für uns?« Sie löste ihre hochgesteckten, verstaubten Haare und ließ ihre Locken über die Schultern fallen. »Müssen wir beide denn unbedingt die Wahrheit kennen?« flüsterte sie, als er sie vorsichtig umarmte und an
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