Seelenglanz
mehr verlor es seine Form, verwandelte sich in einen unförmigen Klumpen, der nicht länger als das prächtige Gefieder zu erkennen war, das es einst gewesen war. Dann gingen die Überreste in Flammen auf und brannten lichterloh, bis nur noch ein Häufchen Asche blieb.
Ich wollte schreien vor Schmerz und Trauer, doch jeder Laut blieb mir im Hals stecken, als sich das Bild erneut veränderte. Die schwarzen Wände lösten sich auf und gabenden Blick auf die Wiese am Fuße des Mount Rainier frei, der fahl im Mondlicht schimmerte. Die Nacht war kalt und sternenklar, doch ich spürte noch immer die Hitze des Feuers, die einen Teil von mir zerstört hatte.
Ich kniete im Gras, meine Hose nass vom Tau, und sah zu Uriel auf, der über mir stand. »Jetzt habe ich dich lange genug schmoren lassen.« Grinsend legte mir der Erzengel die Hand auf die Stirn.
Beinahe sofort spürte ich ein Kribbeln zwischen meinen Schulterblättern, an der Stelle, an der bis eben nur Schmerz und Leere existiert hatten. Als Uriel mir meine Flügel das erste Mal zurückgegeben hatte, war mein Empfinden dabei ein anderes gewesen. Die Freude war da gewesen, ebenso wie eine unglaubliche Erleichterung, nach Jahrtausenden endlich wieder vollständig zu sein. Dieses Mal jedoch erlebte ich das erneute Wachsen meiner Schwingen weitaus intensiver. Der Schmerz des Verlustes war noch frisch, auch die Wunden, die der Verlust mir gerissen hatte. Wieder zu spüren, wie die Flügel aus meinem Rücken wuchsen, das vertraute Gewicht zu fühlen und den Wind im Gefieder zu spüren, als ich sie ausbreitete, war so überwältigend, dass ich meine aufwallenden Gefühle nur schwer unterdrücken konnte. Die Wärme, die meinen Körper einhüllte, war so unglaublich, dass ich nicht anders konnte: Ich stieß einen Freudenschrei aus.
Und erwachte.
Jules lag noch immer schlafend in meinen Armen. Es war die Wärme ihres Körpers, die ich gespürt hatte. Trotzdem suchte ich nach meinen Flügeln, spürte dem Gefühl nach, wie es sich angefühlt hatte, als sie mir erneut aus dem Rücken gewachsen waren.
Doch da war nichts.
Nur die schmerzenden Stümpfe und die Leere.
Zitternd vergrub ich mein Gesicht in Jules’ Haar. Als siesich jedoch zu regen begann, löste ich mich aus ihren Armen und stand auf. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, sie nicht geweckt zu haben, ging ich ins Bad, stellte mich unter die Dusche und drehte das kalte Wasser auf. Der Wasserstrahl prasselte eisig auf meine Haut. So eisig, dass ich hoffte, die Kälte könnte die Erinnerung an den Schmerz und die Flammen aus meinem Körper treiben.
Ich hatte mich gerade abgetrocknet und angezogen, als Akashiel mich zu sich rief. Zu meinem Erstaunen landete ich nicht in seinem Büro, als ich seiner Signatur folgte, sondern in einem mit dicken Teppichen ausgelegten Konferenzraum.
Engel bevölkerten den Raum. Manche hatten auf den bereitgestellten Stühlen Platz genommen, andere standen in größeren und kleineren Grüppchen beisammen und unterhielten sich.
Sobald Akashiel mich entdeckte, bedeutete er mir, ihm zu folgen, und führte mich zum Rednerpult im vorderen Teil des Raums.
»Wie geht es Rachel?«, erkundigte ich mich.
Seine Miene verfinsterte sich. »Ambers Tod hat sie hart getroffen. Noch härter, als sie einsehen musste, dass sie dieses Mal nichts mehr für sie tun konnte.«
Es war schon ein Wunder gewesen, dass es ihr beim ersten Mal überhaupt gelungen war, Amber von den Toten zurückzuholen. Ein Nephilim sollte keine derartigen Kräfte besitzen, sie waren uns Engeln vorbehalten. Und selbst für uns gab es deutliche Grenzen. Dass es bei ihr funktioniert hatte, führte ich auf den Umstand zurück, dass Ambers Tod erst unmittelbar zuvor eingetreten und ihre Seele noch an den Körper gebunden gewesen war. Und auf einen Sturm von Gefühlen, der in Rachel Kräfte entfesselt hatte, die jenseits ihrer Macht liegen sollten.
»Kommt sie damit klar?«
»Früher oder später wird sie es«, sagte Akashiel. »Ich versuche ihr zu helfen, wo ich nur kann.«
»Na, dann viel Glück.« Ich meinte es ehrlich, wusste nur nicht, wie ich es ausdrücken sollte, ohne dass es sarkastisch klang oder sich vollkommen pathetisch anhörte.
Akashiel schien den guten Willen hinter meinen Worten trotzdem zu erkennen. Er nickte mir kurz zu, dann wandte er sich an die anwesenden Engel, die auf sein Zeichen hin ihre Plätze einnahmen.
Ruhe senkte sich über den Saal. Ich stand neben Akashiel und betrachtete die fremden Gesichter
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