Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
kräftige Ohrfeigen unterstützt wurde, hatten sie ihm folgende Alternative klargemacht: Entweder das Geld landete wieder in der Bank – oder er selbst im Leichenschauhaus. Nachdem er kurz überschlagen hatte, dass seine Chancen unterzutauchen verschwindend gering waren, begann unser Freund ernsthaft darüber nachzudenken, wo sich die erforderliche Summe möglichst schnell und möglichst unkompliziert auftreiben ließe. Da kam ihm der Zufall zu Hilfe. Sein Vater, der vor langer Zeit Handelsattaché der UdSSR in Frankreich gewesen war, verfügte noch immer über einige nützliche Kontakte bei den großen französischen Konzernen. Einer davon, eine Konservenfabrik, wollte ihre Geschäftsaktivitäten nach Russland ausweiten und suchte dafür nach einem geeigneten Partner. Unser Freund beschrieb ihnen in den leuchtendsten Farben, was für sagenhafte Perspektiven ihnen auf diesem riesigen Markt offenstünden – vorausgesetzt, sie hätten einen vertrauenswürdigen russischen Partner. Er erhielt den Zuschlag. Er mietete angemessene Büroräume, stellte ein paar Aktenschränke mit leeren Ordnern hinein, setzte eine Sekretärin dazu und organisierte eine Lagerhalle, die groß genug für die ersten zwei Warenlieferungen war. Deren Wert entsprach in etwa der Summe, mit der er in der Kreide stand – zuzüglich einiger kleiner Prozente, versteht sich.
Als die Ware eintraf, musste sie umgesetzt werden, damit die Berge in Metall gepresster genmanipulierter Erbsen und sonstiger Gemüse sich in Geldscheine verwandelten. Der
Verkauf der ersten Partie passierte so schnell und erfolgreich, dass der Typ und seine Mafiosi beschlossen, dieses Huhn, das goldene Eier legte, noch nicht zu schlachten, sondern erst noch ein bisschen daran zu verdienen. Vor allem beschlossen sie, von dem Geld, das die bescheuerten Franzmänner für Werbung locker machten, einen hübschen Teil in die eigene Tasche zu leiten. Dann würde man weitersehen. Aber auch dieses russische Märchen fand irgendwann sein Ende. Und das Ende ist bei russischen Märchen, wie man weiß, nicht immer glücklich. Ein paar frisierte Bilanzen und wenig überzeugende Werbekostenabrechnungen später – »Es kann doch wohl nicht sein, dass die Orte, an denen die 150 Plakatwände aufgestellt wurden, einander dermaßen ähnlich sehen! Genau genommen sieht es so aus, als hätte man dieselben fünf Werbetafeln einfach aus unterschiedlichen Perspektiven fotografiert!« – kamen die Franzosen nach Moskau, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Hier fanden sie im Handumdrehen Zugang zu den maßgeblichen Behörden, denen sie unmissverständlich klarmachten, dass sie bereits Hunderttausende von Dollars in die russische Wirtschaft investiert hätten, aus denen ohne weiteres auch Millionen werden könnten, wenn da nicht ein paar, sagen wir mal, nicht hundertprozentig korrekte Leute säßen, die das für beide Länder so vorteilhafte Geschäft ausbremsten. Die maßgeblichen Behörden zeigten vollstes Verständnis für die Lage der Franzosen, und, getrieben ausschließlich von dem hehren Ziel der Verbesserung der russisch-französischen Handelsbeziehungen, hatten sie unseren Freund und seine sauberen Spießgesellen in Null-Komma-Nichts von den Futtertrögen entfernt.
So entstand die Geschäftsstelle, in der ich jetzt als kaufmännischer Direktor tätig bin.
Im Laufe der Zeit ist aus dem kleinen Büro ein riesiges Monstrum geworden, mit einer schwerfälligen Organisation, ein paar hundert Angestellten und einem alkoholabhängigen Generaldirektor (für den russischen Geschäftszweig), der außer einem fürchterlichen Mundgeruch noch die nicht weniger unangenehme Angewohnheit hat, wöchentliche Sitzungen für »Neunzehnnullzwei« anzusetzen.
Die Geschäfte laufen ziemlich gut, der Generaldirektor bewegt sich gemächlich auf die Rente zu, und die Franzosen, die ab und an zur Kontrolle kommen, verbringen für gewöhnlich eine angenehme Zeit im »Night-Flight-Club« mit hübschen russischen Prostituierten. Der Status der einfachen Angestellten ist in etwa mit dem von Akkordarbeitern in der indonesischen Turnschuhmanufaktur vergleichbar, während das Topmanagement – dessen Mitglied zu sein ich die Ehre habe – eine Diktatur der betrieblichen Sklaverei errichtet hat, in deren Schutz man sich fette Sondergratifikationen und märchenhafte Reisespesen zuschanzt sowie obendrein nach Kräften die Firmenkasse plündert.
Unser Büro befindet sich in einem der vornehmsten Geschäftszentren der
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