Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
eine nach der anderen und suche nach einem Vorwand, um möglichst schnell das Weite suchen zu können. Unterdessen geht die Erzählung über das Leben unserer gesammelten Kommilitonen in den Endspurt. Durch die Bank weg Loser, Alkies, Junkies! Dass sie nicht schon lange ausnahmslos verreckt sind – unbegreiflich! Selbstverständlich fristen sie ein jämmerliches Dasein, im Gegensatz zu Oxanas natürlich wunderschönem erfülltem Leben!
Sie trinkt jetzt dieses grauenhafte Gesöff direkt aus der Flasche, immer wieder quillt ihr Schaum aus dem Mund, sie verschluckt sich, hustet und gackert ordinär, wie eigentlich alle besoffenen Weiber. Sie redet immer verworrener, verhaspelt sich, die brennende Zigarette landet erst auf ihrem Bein, dann auf meinem Ärmel, und ich überlege, was wohl schneller gehen wird: dass sie mein Jackett abfackelt oder dass der Alkohol ihr Gehirn endgültig lahmlegt.
Aber es kommt noch dicker. Sie verschwindet für eine gute Viertelstunde im Bad. Als sie zurückkehrt, trägt sie einen Bademantel, den sie prompt nach ein paar Schritten fallen lässt. Darunter ist sie splitterfasernackt. Sie schaltet die Stereoanlage ein, und wir werden von der schlimmsten Musik beschallt, die ich mir vorstellen kann. Irgendein süßliches Zeug von »Enigma«, ein Stück mit dem Titel »Sadness«, oder »Madness«, so genau kenne ich mich da nicht aus. Oxana lässt sich neben mir aufs Sofa fallen, stößt sich
dabei den Musikantenknochen, ihr Gesicht verzieht sich für einen Moment zu einer weinerlichen Grimasse. Während ich einen Lachanfall unterdrücke, macht sie mir die Hose auf. Ich bin voll bis zur Halskrause, und eigentlich ist es mir scheißegal, dass ich keinen hochkriege, zumal ich sowieso keine Lust habe, mit ihr zu vögeln. Es folgt eine ziemlich chaotische Rangelei, als sie erfolglos versucht, mir einen zu blasen, wobei sie komische blubbernde Geräusche von sich gibt. Währenddessen beginne ich nachzudenken. Über die Banalität der ganzen Situation; über dieses arme, besoffene, unglückliche Geschöpf, das sich ununterbrochen abmüht, leidenschaftliche Geräusche zu erzeugen, und das irgendwann einmal davon geträumt hat, eine Prinzessin zu werden und doch nur als billige kleine Hure endete; über meine eigene Schlaffheit und über den morgigen Tag und über noch irgendwelchen Blödsinn in der Art. Langsam sinke ich in den Schlaf. Mein letzter Gedanke ist, dass Oxana den Kampf gegen die Zellulitis offenbar schon seit langem aufgegeben hat.
Im Traum erscheint mir Timur. Er steht in hüfthohen Anglerstiefeln an Bord eines Fischkutters, der bis oben hin mit zappelnden Fischleibern gefüllt ist. Dann träume ich noch von dem Dicken aus dem Vogue, der mir dumme Fratzen schneidet. Ich grinse im Schlaf, weil mir plötzlich auffällt, dass seine und meine Situation an diesem Abend ziemlich identisch sind. Ich zeige ihm den Mittelfinger, dann drifte ich in den Tiefschlaf weg …
Das Büro
Am nächsten Morgen gehe ich ins Büro.
Ich muss vorausschicken, dass meine Firma die Moskauer Filiale einer großen französischen Gesellschaft ist, die mit Konserven handelt, vorzugsweise Mais und Erbsen. Ins Leben gerufen wurde diese Niederlassung vor etwa zehn Jahren von einem ziemlich schrägen Vogel. Dieser Typ hatte ein ausschweifendes Leben geführt, immer ein paar Schuhnummern zu groß für seine Füße. Wie so viele Anfang der Neunzigerjahre glaubte er, das Leben sei eine Art Endlosparty, frei nach dem Motto: Wenn du heute zweitausend Dollar versäufst, landen morgen auf wundersame Weise fünftausend in deiner Tasche. Die Zahl der Einfaltspinsel, die er mit seinen Geschäftchen aufs Kreuz legen konnte, schrumpfte aber ziemlich schnell auf null zusammen und mit ihnen der Profit, den sie ihm eingebracht hatten. Dafür wuchsen im Gegenzug die Summen ins Astronomische, die er am Spieltisch, bei Nutten oder in den diversen Nachtklubs verplemperte. Irgendwann musste er einen Kredit aufnehmen, um die schlimmsten Löcher in seinem Budget zu stopfen. Dies tat er, versteht sich, mit der Absicht, die Bank zu prellen. Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass diese Bank – wie fast alle zu jenen Zeiten – von der Mafia beherrscht wurde. Folgerichtig standen an einem wunderschönen, womöglich sogar
sonnigen Tag ein paar kräftige Jungs vor der Tür unseres Helden, allesamt bester Laune. Und im Verlauf einer kurzen, relativ einseitigen Unterhaltung, die an den zentralen Punkten des Gespräches durch ein paar
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