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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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Zunge faselt er irgendwelchen Blödsinn, wie wir dieses Geld immer weiter anlegen, Villen an fernen Meeresküsten kaufen und den Moskauer Immobilienmarkt aufrollen. Ich klatsche ihm meine Pfote auf die Schulter, bestätige ihm, dass das Leben als Oligarch eine feine Sache ist und drehe mich um, die Rechnung bestellen. Unser erotisches Traumpaar ist inzwischen aufgestanden. Mein Blick begegnet dem des alten Sacks, und ich sehe in seinen Augen die Angst eines Vogels, der ins Netz gegangen ist. Aus heiterem Himmel packt mich ein hysterischer Lachanfall. Ich mache zwar noch einen schwachen Versuch, meinen Mund mit der Hand zu bedecken, aber der Typ hat sofort verstanden, warum ich so lachen muss, und er versteht auch, dass ich weiß, dass er verstanden hat. Besoffen wie ich bin, finde ich das dermaßen komisch, dass es mich vor Lachen fast zerreißt. Der Typ
schnappt seine Braut, und die beiden verlassen fluchtartig das Lokal. Ein herber Schlag. Armer Glatzkopf. Ich gehe aufs Klo.
    Mein Kopf dreht sich, vor meinen Augen verschwimmt alles, ich sehe eine lange Reihe von Kloschüsseln vor mir. Kurz: Es geht mir beschissen. Und weil mir der aufrechte Gang auf einmal schwerfällt, hocke ich mich auf die Schüssel und stecke mir eine Zigarette ins Gesicht. Wie ein dicker, widerlicher Kloß steigt mir die Übelkeit von unten die Speiseröhre hoch, ich stehe rasch auf, lehne mich ans Waschbecken und schaufle mir kaltes Wasser ins Gesicht. Die Tür geht auf, und Timur kommt rein. Mit den Worten »Ich hab schon bezahlt, warte mal’ne Minute« reißt er eine der Kabinentüren auf und kotzt direkt aus dem Stand. Ich verspüre nicht die geringste Neigung, auf diesen kotzenden Oligarchen in spe zu warten und verlasse das Etablissement. Meine Uhr zeigt halb eins.
    Draußen ist es frostig. Ich stelle den Kragen meines Jacketts hoch, zünde mir eine weitere Zigarette an und glotze stumpf in die Nacht. Versuche, mir in meiner vernebelten Birne irgendwie klarzumachen, wo ich jetzt ein Taxi herkriege.
    Hinter mir ruft jemand meinen Namen. Widerwillig drehe ich mich um: irgendeine komische Tussi. Ich fokussiere meine Sehorgane und identifiziere sie als meine ehemalige Kommilitonin Oxana Grigorjewa. Sieh mal an! Oxana war eine der schärfsten Bräute in unserem Studienjahr, wir hatten sogar ein paar Monate lang eine Art von Affäre. Sie hatte ständig irgendwelche unsinnigen Ideen, die ihre Mutter, eine ehemalige Parteifunktionärin, ihr in den Kopf setzte.

    Das waren völlig versponnene Vorstellungen, wie sie später mal leben wollte. Kurzfassung: Dolce vita von morgens bis abends, permanent im Privatjet zwischen Paris und Mailand hin- und herdüsen und die übrige Zeit mit stinkreichen Prinzen in weißen Stretchlimousinen durch die Gegend kutschieren. Dazu natürlich alles, was die Produktionen aus Holly- oder Bollywood so hergeben. Später heiratete sie, wie man sich erzählte, nicht besonders vorteilhaft. Und sogar jetzt, mit alkgetrübtem Hirn, begreife ich, dass sie inzwischen in der letzten Staffel der Real-Life-Soap »Verlorene Illusionen« angekommen ist, einem Ableger der Produktion »Das war dein Leben, Baby«. Mir will partout nichts einfallen, worüber ich mich mit ihr unterhalten könnte, also blubbere ich irgendwas wie »Hallo, wie geht’s, wo willst du hin« und aktiviere dabei ohne es zu wollen den Zünder für die Bombe »einsame betrunkene Frau«.
    Ehe ich kapiere, was los ist, hat sie mich schon in ein Auto verfrachtet, und wir fahren zu ihr. Kaum sitzen wir, fängt sie an, mich detailliert darüber zu informieren, was inzwischen aus unseren alten Kommilitonen geworden ist. Wer es zu etwas gebracht hat und wer nicht, wer über Nacht Millionen gescheffelt und dann genauso schnell wieder durchs Klo geschickt hat, wem alles die Frau durchgebrannt ist und wer Lenka mit drei Bälgern sitzengelassen hat. Als wir endlich in ihrer Wohnung sind, ist sie immer noch nicht fertig. Während Oxana erzählt, rutscht sie immer näher, streicht mir übers Haar und zupft an ihrem Spaghettiträger. Irgendwie kommt mir diese Anmache billig vor, wie eine fade Show, weil ihr Abend schiefgelaufen ist und sie niemanden abschleppen konnte. Mein Kopf ist wieder ein bisschen klarer
als vorhin, und ich sehe zu, dieses Defizit mit dem Krimsekt, den sie aus ihrem Kühlschrank geangelt hat, wieder auszugleichen. Die Erkenntnis, für sie nur eine Art Ersatzbefriedigung darzustellen, finde ich nicht besonders prickelnd. Ich nicke gelegentlich, qualme

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