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Seelenschacher

Seelenschacher

Titel: Seelenschacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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zu. Siedend heiß, tiefschwarz und mit einem feinen, rot-schwarz glänzenden Schaum bedeckt. Schließlich deckte sie einen mit einem Tuch bedeckten Gugelhupf ab und schnitt zwei dünne Scheiben herunter.
    »Gugelhupf machen hab ich hier gelernt. Meine Kinder sind ganz verrückt danach.«
    Kaffee und Mehlspeise wurden vor mich hingestellt. Ich nippte am Kaffee und brach ein Stückchen Kuchen ab. Beides war ausgezeichnet.
    »Schmeckt’s?«
    »Super.«
    »Müssen sich Ihna vorstellen, Hausser hat Gewehr. So mit Luftdruck. Manchmal schießt er am Morgen auf die Vögel. Weil, sagt er, singen die so laut!«
    Sie hatte sich neben mich gesetzt, viel näher, als mir lieb war, und nippte ihrerseits am Kaffee. Als sie die Tasse zurückstellte, blickte sie mich von unten herauf an. Mit großen Augen.
    »Und Sie?«
    Mir war ein wenig unwohl zumute. Was würde wohl ihr Mann dazu sagen, wenn er nun heimkommen würde? Es war schätzungsweise ein paar Minuten nach fünf. Um die Zeit kommen Männer von der Arbeit heim. Gefrustet von einem langen Tag. Sie schien meine Gedanken lesen zu können.
    »Meine Mann ist auf Montage, irgendwo in Salzburg. Kommt ganze Sommer nicht heim. So wenig Arbeit überall.«
    Wieder blickte sie mich an. Von unten herauf, mit den großen Augen. Die Frau war höchstens einsfünfzig groß, wog sicher nicht mehr als 40 Kilo. Zur Not hätte ich sie mit einem Arm aufheben können. Eigentlich hätte sie sich vor mir fürchten müssen, doch meine Hände waren feucht und die weichen Knie unter dem Tisch gehörten zweifellos auch mir. Ich kam mir vor wie ein Riesenkaninchen, das einer winzig kleinen Schlange gegenübersitzt. Ein Kaninchen, das weiß, dass es niemals in den Bauch der kleinen Schlange passen wird. Aber es sieht auch den gewaltigen Hunger in den Augen der kleinen Schlange, einen Hunger, den eine ganze Welt nicht zu stillen vermag.
    In dem Moment war draußen auf dem Gang eine Hupe zu hören und eine bösartige, keifende Stimme, die schrie: »Ihr kleinen Rotzpippen, wenn es schlafts, kumm I und nah eich die Augen zua!« Dann das Getrappel von kleinen Füßen und das Surren eines Elektrorollstuhls, der an der Wohnungstür vorbeifuhr. Eine Faust donnerte gegen die Türe, sodass es sie fast aus den Angeln gehoben hätte. Meine Gastgeberin zuckte zusammen.
    »Das macht er immer, diese schreckliche alte Mann.«
    Es schien fast, als würde sie zu weinen beginnen. Das riss mich aus der Hypnose, ich sprang auf, verabschiedete mich und war schon bei der Tür. Eigentlich schade um den Kaffee und den Gugelhupf. Es müssen Opfer gebracht werden, wenn man überleben will. Als ich die Wohnung verließ, sah ich noch, wie sich auf der anderen Gangseite die Türe hinter Hausser schloss. Mit einem Rumms, so als wollte er sagen: Sehet denn, nun bin ich zu Hause.
    Ich ging hinüber und horchte. Musik drang laut durch die papierdünne Türe. Ich klopfte. Der Rollstuhl surrte und die Türe wurde aufgerissen. Aus zusammengekniffenen Augen starrte mich ein alter Mann an, der trotz der Julihitze eine dicke Wolldecke mit Karomuster über die Knie gelegt hatte. Er schien ein paar Jahre älter zu sein als Neumann und Buehlin, aber das konnte auch daran liegen, dass ihn das Leben im Rollstuhl vorzeitig hatte altern lassen. Verbitterung und Hass hatten tiefe Linien in sein hartes Gesicht gegraben. Von den strichdünnen Lippen hing ihm ein Speichelfaden aufs unrasierte Greisenkinn. Die laute Musik schlug mir ins Gesicht.
    »Haben Sie ein wenig Zeit?«
    »I bin a Krüppel. Zeit is alles, was ich hab. Aber net fir di!«
    Er wollte die Türe ins Schloss werfen, doch ich hatte meinen Fuß in den Spalt gezwängt. Gott sei Dank war die Tür leicht und mein Schuhwerk fest. Ein gebrochener Mittelfußknochen ist kein Spaß, der kann auch nie mehr gut werden. Durch die halb offene Tür röhrte ein schmutziges Trompetensolo über einem swingenden Barpiano. Durch den Lärm brüllte mir Hausser mit seinem keifenden Organ entgegen: »I kumm ausse, Burli, wo i scho hingschissen hab, muast du erst amol hinschmecken!«
    Er drückte mit aller Gewalt gegen die Tür, sein Rollstuhl surrte wie ein Nest erbitterter Hornissen. Doch ich hielt dagegen. Zentimeter für Zentimeter rang ich ihm ab. Die ganze Zeit über hatte ich das Trompetensolo im Ohr, in den hohen Lagen rein und klar, unten jedoch voller Schmutz und Lust. Ganz böser Blues, das musste Bessie sein.
    »Kommen Sie, Hausser, nur ein paar Minuten. Hören wir ein bisschen der Kaiserin zu und

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