Seelenschacher
weil wir achtlos sind. Achtlos und gedankenlos.«
Hausser ließ die Worte nachwirken. Als ich ihn betrachtete, fiel mir auf, dass der verbitterte, hasserfüllte Mann verschwunden war. Vor mir saß ein Mensch, den das Leben nicht nur körperlich zum Krüppel geschlagen hatte.
»Ich glaube, es war Malebranche«, fuhr Hausser fort, »der meinte, dass nur Narren nicht an Gott glauben, denn wenn es ihn nicht gibt, gewinnt man nichts, …«
»… sollte es Gott geben, verliert man alles. Die Überlegung kenne ich. Aber Nietzsche sagte, dass es keine Götter geben kann, denn wie sollte er es aushalten, keiner von ihnen zu sein. Außerdem glaube ich, dass Gott ein aufrechter und ehrlicher Atheist lieber ist als jemand, der aus Berechnung glaubt.«
Hausser lächelte melancholisch.
»Du weißt auch, was Homer in der Ilias zu diesem Thema zu sagen hatte?«
»θεὸς δὲ τὸ μὲν δώσει, τὸ δ’ ἐάσει, ὅττι κεν ᾧ θυμῷ ἐθέλῃ· δύναται γὰρ ἅπαντα«, protzte ich mit meinem Griechisch.
»Gott gibt uns dieses, und jenes versagt er, wie es seinem Herzen gefällt, denn er herrschet mit Allmacht«, übersetzte Hausser nickend. »Respekt, Burli, das weiß nicht jeder.«
»Es weiß anscheinend auch nicht jeder, dass das Zitat aus der Odyssee stammt«, merkte ich kleinlich an.
»Das ist doch egal.«
»Nein, weil es Eumaios ist, der Schweinehirt, der das zu Odysseus sagt.«
»Willst du damit sagen, dass ich ein Schweinehirt bin?«, fragte Hausser nicht unfreundlich.
»Nein, aber dass das glückliche Zeiten waren, in denen Schweinehirten so viel Weisheit besaßen.«
»Da ist was dran. Heute sitzen die Schweinehirten in der Regierung, doch man kann nichts von dem zitieren, was sie sagen.«
»Ja, der letzte zitierfähige Politiker war Vranitzky, der hoffte, dass die Mafia nicht beleidigt ist, wenn sie mit unseren Parteien verglichen wird.«
»Danach Schweigen.«
Das machten wir dann auch und hörten wieder ein bisschen der »Empress of Blues« zu. Bessie starb nach einem Autounfall, als das nächstgelegene Krankenhaus sie nicht aufnehmen wollte, da sie eine Schwarze war. Doch auch sieben Jahrzehnte nach ihrem Tod drangen ihre Stimme und ihre Emotion klar durch den Vorhang der Zeit und das Rauschen der Platten.
»Sie wollen mir doch nicht allen Ernstes einreden«, nahm ich das Gespräch wieder auf, »dass Sie glauben, dass man seine Seele durch die Unterschrift auf einem Blatt Papier verkaufen kann?«
»Burli, i glaub an gar nix mehr, außer an Schnaps und Pornoheftln.«
Der gebildete Mann mit der sanften Intonation war wieder verschwunden, geblieben war der Hausser, der die Worte aussprach, als wolle er sie blutig schlagen. Mehr war dann auch an diesem Tag nicht aus ihm rauszuholen. Als ich die Tür hinter mir schloss, verabschiedete Bessie mich mit den Worten: »I’ve got the devil in my soul and I’m full of bad, bad booze.«
IX
In der Straßenbahn stank es nach Schweiß und Döner, mit einem Oberton von billigem Parfüm. Wobei gesagt werden muss, dass unter diesen Umständen jedes Parfüm seine Klasse verliert. Mein Hemd klebte am Holz der Sitzbank, und alles fühlte sich eklig und schmuddelig an. Was ich brauchte, war eine Dusche, ein Bett und ordentlich Schlaf. Doch nichts davon war in Reichweite. Ich holte mein Handy raus und schaute nach, ob jemand angerufen hatte. Es hatte.
»Servus, Reichi. Schon gierig auf den Seelen-Vertrag?«
Als Vollblutwinkeladvokat musste so ein Text für Reichi eine Synthese aus Schnipo, Erstkommunion und Gruppensex darstellen.
»Ach wo …«
Ich war baff, gelinde ausgedrückt. Mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet.
»Wer spricht dort und was haben Sie mit Reichi angestellt?«
»Schon gut, Arno. Mit mir ist alles bestens. Ich war bloß so neugierig, dass ich von alleine angefangen habe, ein bisschen zu recherchieren.«
»Du warst doch nicht schon etwa dort und hast unterschrieben?«
Reichi würde seine Seele bedenkenlos für 500 Euro verkaufen, nicht auszudenken, was er zu tun imstande wäre, um so einen Vertrag in Händen zu halten. Wahrscheinlich wäre nicht einmal die Seele seines Erstgeborenen in Sicherheit. In seiner Sammlung juristischer Kuriosa nähme so ein Text einen Ehrenplatz ein, zwischen niedersächsischen Regularien betreffs der Aufstellung von DWBM’s und der alt-kakanischen Stempelkissenverordnung 2412/5. Bei DWBM’s handelt es sich übrigens um Dienstweihnachtsbäume. Um die herum
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