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Seelenschacher

Seelenschacher

Titel: Seelenschacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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Dafür hatte die Ottakringer Brauerei ein riesiges Plakat aufgehängt, das ein überlebensgroßes, vollgefülltes Bierglas zeigte. Augenscheinlich eiskalt und nur darauf wartend, getrunken zu werden. Daneben stand geschrieben: ›Mei Bier hot ka Krise.‹
    Als ich die Böschung hinter mir gelassen hatte, war das Schlimmste überstanden, die letzten Meter bis zu meinem Ziel gabs sogar ein bisschen Schatten von ein paar alten Kastanien. Dann war ich auch schon an der Ecke Steinbruch/Braillegasse. Hinter mir lag das Observatorium auf einer freien, hügeligen Grasfläche. Das lange, ungemähte Sommergras bildete einen lebhaften Kontrast zu den wohlgetrimmten Grünflächen der kleinen Parzellen vor mir. Dort stand jeder Grashalm stramm, die kleinen Hüttchen und Pergolen wirkten penibel sauber und die Autos glänzten frisch gewaschen. Leute spazierten sorglos dahin, ein paar Fitnessbesessene quälten sich auf ihren Mountainbikes ab und irgendwo hinten wurde gegrillt. Eine Stimmung aus biederer Ruhe und kleinbürgerlichem Frieden lag über der ganzen Szene.
    Gleich das erste Häuschen auf der rechten Seite sollte mein Ziel sein. Das Grundstück umfasste etwa 200 Quadratmeter, mit einem kleinen Häuschen drauf, zwei Bäumen und einem Schuppen, das Ganze eingezäunt. Vor dem Lattenzaun standen straßenseitig eine Bank und ein Auto. Bei dem Wagen handelte es sich um einen Chevrolet Impala Cabrio mit mächtigen Heckflossen, Chrombesatz und weißen Ledersitzen. Außerdem war das Ungetüm türkis lackiert und hatte eine Ausstrahlung wie Greta Garbo. Ich konnte das Burgerfett riechen, den Rock’n Roll hören, und irgendwie schlichen sich Gedanken an Petticoats in mein Hirn. Obwohl ich, streng genommen, gar nicht weiß, was das ist.
    Auf der Bank neben dem Wagen saß eine Frau, auf ihre Art nicht minder beeindruckend als der Impala, was nur zu einem kleinen Teil von ihrem Umfang herrührte. Die Frau war einfach gewaltig. Zuerst glaubte ich, sie sei nackt, dann erst fielen mir winzige, halb versteckte Stoffteile in Neonpink auf. Sie sonnte sich offenbar, und ihre wohlgebräunte Haut glänzte eingeölt. Ich ging an ihr vorüber, lehnte mich an den Zaun und fragte einen Herrn, der mit einer Bierdose in seiner Hollywoodschaukel saß und die Kronenzeitung las: »Bin ich hier richtig, sind Sie Herr Neumann?«
    »Den gonzen Tag über und abends mit Beleuchtung. Was wuins denn?«
    »Ich komme von Herrn Buehlin …« Weiter kam ich gar nicht.
    »Kummans eina«, sagte er, öffnete mir die Tür, meinte zu mir gewandt: »Is a hin, der alte Trottel?«, und fügte zu seiner Frau gewandt hinzu: »Frieda, der junge Mann hat an Durscht, dass man siacht, geh, hul ihm a Hülsn. Sei so liab, ja?«
    Vor dem Zaun setzte sich die Frau in Bewegung. Gegen dieses Naturschauspiel ist die Geburt eines Elefantes ein Kindergeburtstag. Ich saß noch gar nicht richtig, da hatte mir Frau Neumann schon eine Dose gereicht, direkt aus der Regenrinne über dem Kopf ihres Gatten. Er hätte nur den Arm auszustrecken gebraucht, aber anscheinend herrschte bei den beiden eine strenge Arbeitsteilung.
    Als ich mich bei Frau Neumann bedankte, meinte sie nur: »Anschaun kost an Fünfer«, und ging wieder hinaus, um auf der Bank weiter in der Sonne zu braten. Sie trug einen String.
    Neumann schaute mich an, zuckte mit den Achseln und meinte: »Zum Wohl« Er war etwa Anfang 60, trug nur eine Badehose, allerdings nicht in Neonpink, sondern in Braun, und war dünn wie ein Sadhu. Von dem Buddha wird erzählt, dass er, wenn er die Hand auf den Bauch legte, seine Wirbelsäule spüren konnte. Neumann schien bis dahin nicht mehr viel zu fehlen. Ein stoppeliger, weißer Bart stand ihm im Gesicht, der Kopf hingegen war völlig kahl. Gutmütige blaue Augen blitzten hinter dicken Brillengläsern, ein Lächeln umspielte die Lippen, und in seinem linken Ohr trug er ein Flinserl.
    Ich kam gar nicht dazu, etwas zu fragen, Neumann erstickte mich förmlich in seinem Redefluss. Früher war Neumann Magistratsbeamter gewesen, heute im verdienten Ruhestand. Er und Buehlin, den er immer nur ›der alte Trottel‹ nannte, kannten sich schon ihr ganzes Leben lang. Ihre Väter seien enge Freunde und Arbeitskollegen gewesen. Früher hätten sie viel Zeit miteinander verbracht, aber als Buehlin in die Frühpension ging, habe sich das geändert. Von diesem Zeitpunkt an habe Buehlin sich nur mehr um sein Hobby gekümmert, das sei von Jahr zu Jahr schlimmer geworden. Die letzten fünf Jahre hatte er ihn

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