Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenschacher

Seelenschacher

Titel: Seelenschacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
Vom Netzwerk:
ausgekommen, jetzt wirst du’s die nächsten zwei Wochen auch noch schaffen.«
    Enttäuscht legte Reichi auf.
    Mittlerweile saß ich in der U4, es ging den schönen, grünen Donaukanal entlang nach Norden. Ein Fenster stand offen und kühle Luft drang in den U-Bahn-Wagen. Bis auf zwei adoleszente Migrationshintergründe, die mit ihren Handys Musik hörten, war ich im Abteil allein. Beide hatten ihre chromglänzenden Dinger aufgeklappt und ließen es dröhnen. Natürlich hörten sie unterschiedliche Songs, und da sie dabei auch noch miteinander reden wollten, brüllten sie wie Jungstiere auf der Weide. Es ist ein gar absonderliches Ding mit dem Menschen. Er entdeckt den Strom, Halbleiter, entwickelt Aktiengesellschaften, schießt Satelliten in die Umlaufbahn und baut Handys. Diesen ganzen irrwitzigen Aufwand benützt er dann, um sich lächerlich zu machen. Wobei ich mich selbst von dieser Feststellung gar nicht ausnahm. Mitten im Gedanken klingelte es wieder. Unbekannte Nummer. Auch das noch. Wahrscheinlich irgendein Kundenbetreuer von einem meiner abgelaufenen Studentenabos.
    »Ich bin kein Callcenter«, meldete ich mich sauer.
    »Ich auch nicht.« Nicht einmal die miserable Verbindung in den Wiener Linien, das Rattern der Räder auf dem Schienenstrang und der Plastiksound meines Handys konnten diese Stimme verfälschen. Es war der leicht sonor-rauchige Klang eines Cello, das durch einen weiblichen Mund sprach.
    »Frau Korkarian nehme ich an.«
    »Genau.«
    »Tut mir leid wegen vorhin, das war nun schon der vierte Anruf in direkter Folge.«
    »Es ist Ihnen schon klar, dass ich da am allerwenigsten dafür kann?«
    Da hatte sie recht, und das sagte ich ihr auch. Was ich ihr nicht sagte, war, dass es mich wunderte, wie sie an meine Nummer gekommen war. Die hatte ich bei der Vertragsunterzeichnung gar nicht angegeben.
    »Ich war gerade bei Ihnen.«
    »Das hab ich gar nicht bemerkt.«
    »Kein Wunder, Sie waren nicht anwesend.«
    »Im Büro?«
    »Nein, in Ihrer Wohnung. Aber man hat mir Ihre Nummer gegeben.« So, so.
    »Was kann ich für Sie tun?« Die U-Bahn fuhr gerade in die Station Friedensbrücke ein. Auch egal, Shahin konnte warten, das hier war wichtiger. Ich blieb also sitzen.
    »Ich hätte Sie gerne gesprochen.«
    »Tun wir ja gerade.«
    »In realiter.« Na, wenn das nicht wieder auf einen narrativtheoretischen Suizid hinauslief.
    »Wo sollen wir uns treffen?«
    »Am liebsten im Viertel, ich muss nachher noch was erledigen.«
    »Soll mir recht sein. Vielleicht im Café März, neben der polnischen Videothek?«
    »Nein, auf keinen Fall im März, da tarockieren die Freunde meines Vaters ständig. Ich will niemandem über den Weg laufen.«
    »Wie wärs dann mit dem Weidinger? Der Innenhof ist um diese Zeit herrlich schattig und kühl.«
    »Das Weidinger hat einen Innenhof?«
    »Sicher.«
    »Na gut. Wie lange brauchen Sie?«
    »Etwa 15 Minuten.«
    »Bis dann.«
    Sie legte auf. Nur noch einen Anruf, dann wäre das erledigt. Nach zwei Signaltönen meldete sich Shahin.
    »Hi. Du, mir ist was dazwischengekommen, das wahnsinnig wichtig ist. Eilt deine Entdeckung oder können wir morgen darüber reden?«
    »Morgen ist schon ok, da bin ich halt bei meinem durchgeknallten Wirtschaftsprüfer. Wenig Zeit.« Shahin klang enttäuscht.
    »Gut, dann meld ich mich morgen bei dir und wir sehen weiter. Bin schon gespannt.«
    Shahin legte auf. Ich tat es ihm nach, nahm mein Handy vom Ohr und atmete durch. Dann drückte ich verbissen die rote Taste. So lange, bis das kleine Ding winselte, vibrierte, noch einmal kurz aufleuchtete und dann verstummte. Es war vollbracht. Es war tot. Mausetot. Bis auf Weiteres. Ich steckte die leblosen 156 Gramm Plastik ein und entspannte mich, während ich dankbar meiner Jugend gedachte, in der es noch keine Handys gegeben hatte. Die beiden Migrationshintergründe hatten nicht so viel Glück gehabt wie ich und tanzten noch immer den wirren Reigen der Elektronik. Als ich in Spittelau ausstieg und die U-Bahn davonfuhr, blickte ich ihnen nach, bis die Waggons im Schacht verschwanden. Hätte Dante seine Commedia heute verfasst, wäre da sicherlich ein Kreis der Hölle, in dem die Leute auf ewig mit der U-Bahn im Kreis fahren würden, mit den Handys Musik hörten und sich im ohrenbetäubenden Krach nicht verständigen könnten. Taubheit im Krach.

III
    Das Café Weidinger, neben der Hauptbibliothek und der Lugner City gelegen, ist eine Zierschnalle am Gürtel Wiens. Das braune Eckhaus ist heruntergekommen, die

Weitere Kostenlose Bücher