Seelenschacher
Einen Tag früher als geplant. Ich wollte meinen Mann überraschen.« Am liebsten hätte ich mir die Finger in die Ohren gesteckt und laut gesungen. Doch Glanicic-Werffel kannte kein Erbarmen und machte weiter.
»Na, überrascht hab ich ihn auch. Mit seiner Sekretärin.«
»Alle Männer sind Schweine, sogar die Besten von uns sind nicht mehr als Affen im Anzug.« Besseres fiel mir nicht ein. Wenigstens hatte ich nicht darauf hingewiesen, dass es immer klüger war, zu spät als zu früh heimzukehren, der unliebsamen Überraschungen wegen. So eine Weisheit hätte sie sicherlich zum Kochen gebracht. Normalerweise hätte ich der Versuchung nachgegeben. Aber diesmal nicht. Vor mir saß eine wunderschöne Frau, der langsam bewusst wurde, dass sie kein junges Mädchen mehr war. Zum ersten Mal bemerkte ich Risse in ihrem diamantharten Panzer aus Selbstvertrauen, Intellekt und Versace. Die Krähenfältchen um die Augen, sonst immer sexy Zeichen einer reifen Frau, ließen sie diesmal müde und verletzlich wirken. Fast wie ein kleines Mädchen.Ich wollte sie irgendwie aufheitern.
»Für eine Diva wie Sie sollte so ein Vorkommnis doch kein Problem sein. Nehmen Sie sich einen Liebhaber, ziehen Sie Ihrem Mann bei der Scheidung die Hosen aus. Die Welt gehört Ihnen. Toyboys, Champagner und Philologenkongresse.«
»Aber ich liebe ihn doch. Ich habe ihn immer geliebt. Wissen Sie, Linder, Sie sind ein Mann, Sie können das nicht verstehen.«
»Warum sprechen Sie dann nicht mit einer Freundin darüber, bei ein paar Flaschen Prosecco?«
»Weil ich Prosecco hasse und keine Freundinnen habe.« So, jetzt war es heraußen, sie atmete tief durch. »Alle meine Bekannten sind hohlköpfige Schachteln, deren Horizont über Kleider, Friseur und Sean Connery nicht hinausgeht. Und wissen Sie, wieso das so ist?«
Nein, das wusste ich nicht. Wollte es auch gar nicht, doch Frau Ordinarius war in Fahrt.
»Weil ich mein Leben lang immer der Anerkennung von Männern nachgelaufen bin. Zuerst der von meinem Vater. Als mir dann klar wurde, dass das nie funktionieren würde, der von meinem Lehrer, aber egal, was ich auch immer machte, es war zu wenig. Ich habe mein ganzes Leben nach Anerkennung von Männern gestrebt. Nicht Anerkennung für ein schönes Kleid oder Ähnliches, nein, für Wissen und Kompetenz. Das funktioniert nicht. Mein Vater war stolz auf mich, weil ich schön war und weil ich eine gute Partie gemacht habe. Matura mit Auszeichnung, Promotion sub auspiciis, das war ihm egal. Meinem Doktorvater war mein Französisch wichtiger als mein Griechisch und, Ironie des Schicksals, bei meinem Mann ist es genau umgekehrt.«
Ich verstand nicht.
»Die Sekretärin Ihres Mannes beherrscht Altgriechisch und Französisch?«
»Schwachsinn, Linder, er hat sie in den Arsch gefickt, die kleine Schickse.«
Wenn ein Tonband mitgelaufen wäre, hätte ich den letzten Satz verkaufen können, für Millionen. Niemand würde geglaubt haben, dass Glanicic-Werffel sich jemals so ausdrücken könnte. Ich war völlig verdattert, nicht fähig, einen konstruktiven Gesprächsbeitrag zu leisten, deshalb fuhr sie fort.
»Wie schon gesagt, Linder, Sie als Mann können sich das gar nicht vorstellen. Für euch läuft immer alles glatt. Beruf, Anerkennung und eine Spur gebrochener Herzen hinter euch.«
»Ganz so sehe ich das nicht.« Eigentlich hatte ich es bis jetzt immer umgekehrt gesehen, was sie von den Männern sagte, hatte ich bis jetzt immer von den Frauen gedacht.
»Ach nein. Sie sind doch ein gutes Beispiel. Ein ausgezeichneter Philologe, alles rennt zu Ihnen um Rat, die Kollegen bewundern Sie, an jedem Finger fünf Mädchen, und sogar Ihre widerlichen Gesetzeswidrigkeiten schaden weder Ihrer Karriere noch Ihrer Gesundheit. Weil Sie der Einzige am Institut mit Grips sind. In zehn Jahren sitzen Sie auf meinem Stuhl wie ein Gott. Ich dagegen muss jeden Tag perfekt sein, darf mir keine Schwäche erlauben, weder fachlich noch amourös, aber es nützt nichts. Jetzt hat mich auch noch der eigene Mann betrogen. Das wird Ihnen nie geschehen. Und wenn, dann lachen Sie drüber und fliegen zur nächsten Blüte.«
Dann erzählte ich ihr meine Sicht der Dinge. Ich erzählte davon, wie es ist, wenn man keine fixe Anstellung bekommt, weil man ein Mann ist, da die Forschungsmittel immer zuerst an Frauen und Frauenprojekte vergeben werden, wie es ist, wenn man bettelarm ist und die einzigen beiden Frauen, die man je geliebt hat, einen verlassen haben. Die eine wegen eines
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