Seelenzorn
würde sie für lange Zeit ins Gefängnis wandern, vielleicht sogar hingerichtet werden. Aber das war ihr egal. Es war ihr egal, weil er am Leben war.
Sie streckte zögernd die Hand aus und strich ihm das Haar aus dem Gesicht. Halb wünschte sie sich, er würde aufwachen, halb hoffte sie, dass er weiterschlief.
Er bewegte sich leicht und murmelte etwas, was sie nicht verstand, wachte aber nicht auf. Auch gut.
Er wollte sie nicht sehen und nicht mir ihr reden. Das schmerzte viel mehr als das Loch in ihrem Bein. Fast so sehr, wie der Gedanke, dass sie ihn jetzt vielleicht zum letzten Mal berührte, dass sie ihm vielleicht nie wieder so nahe sein würde.
Aber wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre sie jetzt tot. Als es wirklich darauf ankam, da hatte er sie mit seinem Leben beschützt, obwohl er so wütend auf sie war und sie ihn so tief verletzt hatte. Er hatte sich für sie geopfert.
Und sie hatte das Gleiche für ihn getan. Das musste einfach etwas bedeuten, oder? Dass ihre Geschichte noch nicht am Ende war, ganz gleich, wie es sich im Moment anfühlen mochte?
Und für den Moment war das genug. Wie es mit Lex weitergehen sollte, wusste sie nicht. Welche Auswirkungen das Symbol auf Terrible noch haben würde, wusste sie ebenfalls nicht. Verdammt, sie wusste so vieles nicht. War schon immer so gewesen.
Aber hier und jetzt wusste sie, dass Terrible gestorben wäre, um sie zu retten. Tief in seinem Inneren lag ihm etwas an ihr, und das Gefühl war mindestens so stark wie sein Begehren. Und sie wollte ihn auch immer noch, mehr, als sie jemals für möglich gehalten hätte, und sie hatte keine Angst davor.
Das war doch schon mal ein ziemlich guter Anfang.
Sie stellte das Foto auf seinen Nachttisch, sodass er es beim Aufwachen sehen würde, und tappte über den Flur zurück in ihr Zimmer. Jetzt war er am Zug.
Sie hoffte nur, dass er auch mitspielen würde.
Auf sie wartete das Bett; sie krabbelte hinein und ignorierte das Stechen im langsam verheilenden Bein. In ein oder zwei Stunden würden die Schwestern wiederkommen, um ihr neue Pillen zu verabreichen, und dank Lex hatte sie noch einen kleinen Privatvorrat. An der Wand hing ein Fernseher, und der Älteste Griffin hatte ihr ein paar Bücher geschickt. Sie war noch am Leben. Niemand würde ihr den Job wegnehmen. Niemand spionierte ihr jetzt noch hinterher.
Es war vielleicht nicht gerade ein Happy End. Aber immerhin eine ganze Ecke besser, als sie erwartet hatte.
LESEPROBE
Stacia Kane
CHESS PUTNAM
GEISTERSTADT
Erscheint Dezember 2011 bei LYX
Nicht all deine Pflichten werden angenehm sein.
Aber dieses Opfer musst du bringen. Vergiss nicht, dass du
als Kirchenangestellter allen anderen Menschen gegenüber
privilegiert bist.
Mit gutem Beispiel vorangehen!
Ein Leitfaden für Kirchenangestellte
Die Guillotine erwartete sie. Das geschwärzte Holz ragte düster und bedrohlich vor den nackten Betonwänden des Hinrichtungssaals auf.
Chess gab sich Mühe, nicht hinzusehen, als sie vorbeihumpelte, und versuchte zu vergessen, dass sie es eigentlich verdient hätte, davor niederzuknien, den Hals auf den vom vielen Gebrauch glatt polierten Block zu legen und auf die Klinge zu warten. Sie hatte einen Psychopomp getötet. Verdammt, sie hatte Menschen umgebracht.
Nur auf die Tötung eines Falken stand automatisch die Todesstrafe.
Doch niemand wusste davon. Oder wenigstens niemand, der über die Macht verfügte, sie zum Tode zu verurteilen. Im Augenblick war sie sicher.
Leider fühlte sie sich überhaupt nicht sicher. Sie fühlte sich kein bisschen so, wie es eigentlich hätte sein sollen. Bei jedem Schritt in den Kirchenschuhen mit den flachen Absätzen erinnerte sie ein dumpfer Schmerz im Oberschenkel an die fast verheilte Schusswunde. Ihr Humpeln erinnerte auch alle anderen daran und lenkte die Aufmerksamkeit ausgerechnet jetzt auf sie, zu einem Zeitpunkt, da sie Aufmerksamkeit noch viel weniger gebrauchen konnte als sonst.
Die Hand des Ältesten Griffin legte sich warm auf ihren Ellenbogen. »Du darfst sitzen bleiben, während das Urteil verkündet und vollstreckt wird, Cesaria.«
»Oh nein, wirklich, ich bin ...«
Er schüttelte den Kopf und sah sie mit ernstem Blick an. Was war los? Zugegeben, eine Hinrichtung war auch nicht gerade ein knalliges Partyevent, aber das galt für so ziemlich jeden Kirchentermin. Und der Älteste Griffin sah heute noch ernster aus als sonst, noch bedrückter.
Er wusste doch wohl nicht Bescheid, oder? Hatte Oliver Fletcher
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