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Seelenverkäufer

Seelenverkäufer

Titel: Seelenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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    Früher waren es meine Kinder, die mich gelöchert haben, ihnen die Geschichten von unserem möblierten Herrn, dem Ingenieur C. B. Johnen, zu erzählen, von seinen Plänen und Erfindungen, von der >Esperanza< und ihrem schurkischen Besitzer Don Saraiva, und von den sagenhaften Schätzen, die mit den spanischen Karavellen und Galeonen in der Karibik von Port of Spain und über den Silverbanks mit Mann und Maus untergingen.
    Später waren es meine Enkel, die nicht müde wurden, sich die abenteuerlichen Geschichten anzuhören — vor allem Wolfgang, der älteste von den Buben meiner Tochter Renate, der seit drei Jahren die Oberrealschule besucht und unbedingt Ingenieur werden und tolle Erfindungen machen will, woran ich mit meinen Geschichten sicherlich nicht ganz unschuldig bin. Und er war es auch, der neulich sagte — und es damit vielleicht nicht einmal ganz ernst meinte »Schreib doch alles auf, Großvater, Zeit genug hast du doch dazu...«
    Zeit genug habe ich wirklich, seit meine liebe Frau mich vor drei Jahren für immer verließ. Die Tage werden allzu lang, besonders wenn Sturm und Regen den täglichen Spaziergang an der Alster entlang und weit bis über Winterhude hinaus nicht erlauben. Aber schreiben? Es hat lange gedauert, bis ich mich an den Gedanken zu gewöhnen begann, und vielleicht war es wieder Wolfgang, der mir — nicht gerade zartfühlend, aber sehr ehrlich — den letzten Anstoß gab; er sagte nämlich: »Wer weiß, Opa, wie lange du noch lebst, und dann können wir die Geschichte wenigstens immer noch lesen.«
    Nun ja, so habe ich mir denn einen Haufen Papier besorgt und will mich daran wagen, alles aufzuschreiben, was ich damals erlebt habe.
    Begonnen hat alles bald nach der großen Inflation in den zwanziger Jahren, wo man für eine Zigarette zehn Milliarden Mark hinblättern mußte und wo mein Vater seinen Kunden für ein Pfund Karotten dreißig Milliarden und für einen Zentner Kartoffeln acht Billionen abnahm. Das ist eine Eins mit zwölf Nullen dahinter. Damit haben wir Jungen spielend rechnen können, während sich die älteren Leute ziemlich schwertaten. So auch meine Eltern, die in der Brückenstraße einen Obst- und Gemüseladen besaßen und durch die Inflation brachten, bis es dann wieder ehrliche Mark-und-Pfennig-Rechnung gab. Deshalb blieb der Gemüsehandel doch ein schweres Geschäft, das sehr wenig einbrachte. Das ist heutzutage, wo alle Leute auf ihre sogenannte >schlanke Linie< achten, etwas anderes. Aber damals, als man von Kalorien und Cholesterinen und so ’nem Zeug noch nichts gehört hatte, konnten die Gänse und Schweine nicht fett genug sein, und Gemüse, lieber Gott, das aß man so nebenbei.
    Ich jedenfalls war damals gerade sechzehn Jahre alt geworden, hatte die Mittelschule mit einem guten Zeugnis — einer Eins im Rechnen und einer Zwei in Deutsch — verlassen, brannte darauf, Mechaniker zu werden und hockte, weil es keine Lehrstelle gab, zu Hause herum. Weshalb die Leute jene zwanziger Jahre die >goldenen< nennen, möchte ich gern wissen. Da suchte doch ein Schuhmacher in den Großen Bleichen wahrhaftig einen Lehrling mit Abitur! Ich hätte schließlich eine Lehrstelle bei einem Schneidermeister bekommen können, aber dagegen sträubte ich mich mit Händen und Füßen und wurde darin von meiner Mutter unterstützt, die immer davon träumte, mich mal als Polizisten zu sehen. »Ach, Jung«, sagte sie immer, »da stellen sie dir die Uniform, und wenn es auch nicht viel ist, aber das, was dir zusteht, ist dir an jedem Ersten sicher, und dann kommen ja auch die Beförderungen.«
    Aber nun muß ich endlich zu meiner Geschichte kommen, und die ging so los: Eines Tages, es muß gegen Ende März gewesen sein, befahl mir mein Vater, einen Kopf Weißkohl zur Frau Amtsgerichtsrat Spöcker in die Dorotheenstraße zu tragen. Solche Botengänge mußte ich von morgens bis abends verrichten, denn die Damen, die bei uns Kunden waren, ließen sich jeden Einkauf über eine Mark ins Haus bringen. Es hieß nur immer: >Ach, Ihr Pitt tut mir diesen kleinen Gefallen doch gern, nöch?<
    Na, ich war von dieser Art, beschäftigt zu werden, alles andere als begeistert, denn meistens war ich dann derjenige, der die Anschnauzer wegen der gelieferten Ware zu schlucken hatte. Manche Weiber waren dazu noch so unverschämt, dreist zu behaupten, solch einen Dreck hätten sie nicht ausgesucht und ich hätte die Ware vertauscht. Wenn ich das meiner Mutter erzählte, sagte sie immer: »Laß deine Zeit

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