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Seelenzorn

Seelenzorn

Titel: Seelenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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geschlossen und rührte sich nicht mehr. Sie griff nach seiner Hand, wollte, dass er sie ansah, mit ihr sprach, aber er tat es einfach nicht, und ihr Verstand weigerte sich, es zu begreifen, und ihre Augen weigerten sich, es zu sehen, und dann hörte sie Flügelschlagen, schweres Flügelschlagen, und sie blickte auf und wusste, dass ihr die Vögel nicht länger gehorchten.
    In dem Moment kam der Falke.

31
    Der Tod ist nichts weiter als der Pfad zur Stadt der Ewigkeit;
    der Psychopomp ist der Begleiter auf dem Weg
    zu einem Leben in Frieden und Freiheit.
    Das Buch der Wahrheit, »Veraxis«, Artikel 66
    Im Sinkflug breitete er ganz ohne Hast die mächtigen Schwingen aus und machte sich bereit, die Seele wegzubringen. Terribles Seele. Er starb. Die Erkenntnis traf sie so hart und so schwer, dass die Schusswunde in ihrem Bein dagegen gar nichts war. Chess spürte sie kaum. Sie durfte das nicht zulassen. Sie würde das nicht zulassen.
    Ihre Hände zitterten nicht, als sie nach der Pistole in seinem Hosenbund griff. Seine Haut war immer noch warm.
    »Chess, was haben Sie ...«
    »Komm schon, Tülpi ...«
    Hände legten sich auf ihre Schultern, sanfte Hände. Sie wusste, dass sie es nur gut meinten, aber sie lagen falsch. Sie hatten keine Ahnung, welche Hilfe sie jetzt brauchte.
    Sie schüttelte die Hände ab, hob die Pistole und lud durch. Er hatte sie mit diesem Modell nur ein paarmal schießen lassen, aber sie würde es schaffen. Oh ja, sie würde es schaffen.
    Fletcher schrie ein weiteres Mal, aber sie hörte es kaum. Sie hörte nichts als ihr eigenes Herz, das Triolen schlug, als hätte sie einen ganzen Sack voll Speed gesnieft, während sie die Waffe hob und zum Zielen über den Lauf spähte, wie er es ihr gezeigt hatte. Sie drückte ab.
    Daneben. Der Falke wich nach links aus, behielt aber die Flugrichtung bei. Jede Sekunde konnte er sich jetzt auf seine Beute stürzen, jede Sekunde. Fuck, sie konnte nicht...
    Sie schoss noch einmal. Der Falke stürzte plump ab; der Kopf war weg, und die Flügel konnten den Sturz nicht mehr abfangen. Er schlug aufs Pflaster und lag still.
    »Chess! Das können Sie doch nicht machen, Sie können doch nicht ...«
    Chess fuhr herum, die Waffe in der Hand, und nahm Oliver Fletcher ins Visier. Fixierte ihn. Zeigte ihm, dass sie es ernst meinte. Das Geräusch des zurückgleitenden Schlittens hallte durch die Straße. »Sagen Sie mir nicht, was ich kann und was ich nicht kann.«
    »Sie wissen nicht, was ...«
    »Ich scheiß auf Sie, Fletcher.« Sie hörte sich jämmerlich an. Wie viel Zeit blieb ihr wohl noch? Er verschwendete ihre Zeit. »Ich scheiß auf Sie, kapiert?«
    »Chess, ich weiß, was in Ihnen vorgeht, verdammt noch mal, aber Sie können doch nicht ...«
    Sie ließ die Waffe in die linke Hand wandern und griff mit der anderen zum Messer. »Ich will ihn einfach nicht verlieren. Das ist es, was ich nicht kann. Ich kann nicht ... kann nicht ...«
    Ihre Finger fummelten an Terribles Hemd herum und rissen es auf. Blut an ihren Fingern, Blut auf seiner Brust. So viel Blut. Sie kam zu spät, der nächste Psychopomp war bestimmt schon unterwegs, sie musste sich beeilen.
    Irgendjemand fasste sie am Arm und versuchte sie wegzuzerren. Sie riss sich los - es kam ihr so einfach vor -, beugte sich nach vorn und setzte ihm die Messerspitze über dem Herzen an die Brust.
    »Chess, bitte«, sagte Fletcher. »Bitte.«
    Sie schenkte ihm keine Beachtung.
    Sie hatte das Symbol ausführlich studiert und jede einzelne Linie mit den Augen nachgezogen. Sie kannte es in- und auswendig. Das Messer bewegte sich wie von selbst, zog das Dreieck, fügte die Runen hinzu, kurvte über die Spitze. Fletchers Modifikationen ließ sie weg und beließ es bei dem Kirchensymbol, wie man es früher benutzt hatte. Das war sicher - ganz bestimmt war es sicher und wenn nicht, machte es ihr auch nichts mehr aus, denn wenn sie ihn verlor, war das auch ihr Ende.
    »Kesser arankia«, flüsterte sie mit einer Stimme, die kaum noch Ähnlichkeit mit ihrer eigenen hatte. »Durch meine Kraft binde ich dich.«
    Nichts geschah. Sie hörte Flügelschlagen. Zu spät. Sie war zu spät gekommen, sie hatte es zu spät getan, sie hatte ein schweres Verbrechen begangen, indem sie einen Psychopomp tötete, und jetzt war alles umsonst gewesen, weil sie zu spät gekommen war. Sie sackte in sich zusammen, das Messer fiel ihr aus den fühllosen Fingern, und sie bekam keine Luft mehr.
    Terribles Brust hob sich unter ihrer Hand.
    Oliver Fletcher

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