Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
Tod meiner Oma habe ich ihn nur selten so fröhlich gesehen. Er ist weicher geworden in den vergangenen Jahren. Er weint oft, früher hat er nie geweint. Er war immer ein strenger Opa, eine Respektsperson. Das Familienoberhaupt.
Als meine Oma vor drei Jahren starb, war das für alle schwer. Aber für meinen Opa war es am schwersten. Meine Großeltern waren 53 Jahre miteinander verheiratet. Am Tag der Beerdigung sah ich meinen Opa zum ersten Mal weinen. Es war im August, die Sonne brannte auf uns herab. Wir schwitzten in unserer schwarzen Kleidung. Ich war erstaunt, wie viele Leute auf den Friedhof gekommen waren. Es schien, als sei das gesamte Dorf anwesend. Meine Oma hätte sich sicher gefreut.
Als am Nachmittag die meisten Trauergäste gegangen waren, liefen wir vom Restaurant noch einmal zurück zum Friedhof. Mein Opa, meine Eltern, Peter, Heribert und ich. Wir wollten uns ansehen, wie das Grab aussah, mit all den Blumen und Kränzen. Heribert stand neben meinem Opa. Beide sahen mit herabhängenden Schultern und gefalteten Händen schweigend auf die frische Grabstelle. Dann legte mein Opa seinen Arm auf Heriberts Schulter, zog ihn ein Stück zu sich heran und sah ihm ins Gesicht. Er sagte ihm mit leiser, aber fester Stimme, dass er sich wünschen würde, dass Heribert mich bald heiratet. »Warte bitte nicht mehr so lange«, bat er. »Ich möchte eure Hochzeit doch so gern noch erleben.« Heribert nickte und versprach es ihm, dann sahen sie wieder hinunter zum Grab. Ich musste weinen, als ich die beiden da so stehen sah. Heribert und ich haben nie über diese Unterhaltung gesprochen. Ich glaube, er weiß gar nicht, dass ich sie mitangehört habe. Geheiratet haben wir noch nicht.
In zwei Monaten sind wir bereits seit zehn Jahren ein Paar. Viele unserer Freunde haben längst geheiratet oder haben es demnächst vor. Die meisten von ihnen kennen sich weit weniger lange als wir. Wir sind oft auf Hochzeiten eingeladen. Allein in diesem Jahr waren es fünf. Bei dreien davon war ich allein.
Es gibt nichts Schlimmeres, als allein auf eine Hochzeit zu gehen. Normalerweise versuche ich während Heriberts Abwesenheit immer, ein paar Regeln zu beachten. Dazu gehört es, Liebesfilme zu meiden und sich nicht oder nur in Ausnahmen mit Paaren zu verabreden. Bei einer Hochzeit breche ich beide Regeln auf einmal. Eine Hochzeit ist sozusagen ein live gewordener Liebesfilm, unter den Gästen sind fast ausnahmslos Paare. Absagen geht aber nicht. Also heißt es: Augen zu und durch.
Besonders bitter ist eine Hochzeit immer dann, wenn das Brautpaar mir einen Tischnachbarn organisiert. Im schlimmsten Fall ist er ein Single-Mann, der darauf gehofft hatte, eine nette Single-Frau kennenzulernen. Was für eine Enttäuschung, wenn er dann ausgerechnet neben mir landet. Neben der Seemannsbraut, die als Einstieg in die Unterhaltung nichts Besseres zu tun hat, als von ihrem tollen Freund zu erzählen, der gerade auf dem Atlantik, dem Pazifik oder dem Panamakanal unterwegs ist. Ich bevorzuge es nämlich, unmittelbar zu Beginn des Kennenlernens für klare Verhältnisse zu sorgen. Das ist wichtig, denn ich bin zu nett. Meine Freundin Meike sagt mir immer, ich würde mit meiner offenen Art falsche Signale aussenden. Gerade schüchterne Männer interpretieren mein Verhalten oft falsch. Ich rede gern und viel. Außerdem stelle ich viele Fragen. Ich bin Journalistin. Es gehört zu meinem Job, neugierig zu sein.
Jetzt ist September, die Hochzeitssaison ist um diese Jahreszeit eigentlich beendet. Normalerweise könnte ich tief durchatmen und die kommenden hochzeitsfreien Monate genießen. Aber nicht in diesem Jahr. Eine sechste Hochzeit steht noch aus. Meine Schulfreundin Eileen heiratet im November in Sydney ihren australischen Freund Vito. In Australien ist im November Frühling. Also ein perfekter Zeitpunkt, um zu heiraten. Wenn die Hochzeit nur nicht ausgerechnet auf den Tag fallen würde, an dem Heribert und ich unser zehnjähriges Jubiläum haben. Natürlich konnten Eileen und Vito das nicht wissen. Es ist schließlich kein Datum, das man sich wie einen Geburtstag im Kalender notiert, um seinen Freunden feierlich zu gratulieren. Ich kenne dieses Datum von keinem meiner Freunde. Außer bei Kathrin und Jan, zwei Schulfreunden, die schon seit der zwölften Klasse ein Paar sind. Bei ihnen war es der 6. Dezember, also ein Nikolaustag. Aber dieses Datum zählt nicht, denn es lässt sich viel zu leicht merken.
Eileen und ich kennen uns seit unserer
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