Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
frühesten Kindheit. Wir wuchsen in derselben Straße auf. Wir spielten zusammen. Von der ersten bis zur dreizehnten Klasse liefen wir Tag für Tag gemeinsam zur Schule. Wir hatten sogar zur gleichen Zeit unseren ersten festen Freund. Ihr Freund hieß Michael, meiner Christian. Die beiden Jungs waren drei Jahre älter als wir, und auch sie waren miteinander befreundet. Wir vier hingen fast ununterbrochen zusammen.
Die Beziehungen zu den beiden Jungs sind längst Geschichte. Unsere Mädchenfreundschaft aber hat gehalten. Auch wenn Eileen mittlerweile am anderen Ende der Welt wohnt. Seit dem Abitur hat sie, mit kurzen Unterbrechungen, fast immer im Ausland gelebt. Sie war Au-pair-Mädchen in Washington, hat in Nizza studiert und lebt nun schon seit vier Jahren in Sydney. Ich habe sie überall besucht. Natürlich war ich auch schon in Australien. Zweimal sogar. Einmal direkt am Anfang, als sie noch glaubte, sie würde nach zwölf Monaten zurückkommen. Doch dann hat sie sich verliebt und ist geblieben. Das zweite Mal reisten Heribert und ich gemeinsam nach Australien. Das ist erst ein paar Monate her. Eileen und Vito hatten uns eingeladen, mit ihnen Silvester zu verbringen. Es war die schönste Jahreswende, die man sich vorstellen kann. Es war kurz vor null Uhr, aber noch 28 Grad warm. Ich stand in einem Sommerkleid auf einer riesigen Dachterrasse, mit Blick auf das berühmte Opernhaus und die Harbour Bridge. Die Terrasse gehörte zu Eileens Firma, einem IT-Unternehmen. Jedes Jahr zu Silvester lud die Firma alle Mitarbeiter mit Familie und Freunden zu einem großen Grillfest ein. Der Ausblick von der Terrasse war so unglaublich, dass ich Heribert bat, mich kurz zu kneifen, um sicherzugehen, dass es Realität war. Wir hielten Sektgläser in den Händen, in denen in Sirup getränkte Hibiskusblüten schwammen, die sich inmitten der sprudelnden Kohlensäurebläschen langsam öffneten. Auf einmal zählte ganz Sydney laut den Countdown herunter, der in meterhohen Zahlen auf einen der Brückenpfeiler projiziert wurde. Ich bekam eine Gänsehaut. Bei null begann mit einem lauten Knall direkt vor uns dieses unglaubliche Feuerwerk, das ich bisher nur aus dem Fernsehen kannte. Heribert gab mir einen Kuss, dann sahen wir eng umschlungen und sprachlos diesem wunderschönen Lichtspiel zu. In diesen Minuten dachte ich, dass sich die weite Reise allein für dieses Erlebnis gelohnt hatte.
Zwei Tage vor unserem Abflug nach Australien rief Eileen mich an. Sie erzählte mir ganz aufgeregt, Vito habe ihr einen Heiratsantrag gemacht. Bei einem Spaziergang im Botanischen Garten habe er sich plötzlich vor sie niedergekniet und sie gefragt. Sie habe sofort »Ja« gesagt. Aber sie sei überrascht. So früh habe sie nicht mit einem Heiratsantrag gerechnet. Natürlich wollten sie heiraten. Irgendwann. Aber nicht so bald. Auch zwei Stunden nach dem Antrag war Eileen so aufgeregt, dass sich ihre Worte überschlugen.
»Ich weiß, dass ihr uns schon in ein paar Tagen besuchen kommt. Ich könnte also verstehen, wenn ihr im nächsten Jahr nicht schon wieder nach Australien fliegen möchtet«, fing sie an, ohne auch nur einmal Luft zu holen. Ich habe sie sofort unterbrochen und zugesagt, zu ihrer Hochzeit zu kommen. Es stand schon immer fest, dass ich dabei sein würde, wenn sie einmal heiratet. Das war schon klar, als wir beide noch dachten, wir würden Michael und Christian heiraten.
»Eileen, natürlich komme ich. Wenn ich einmal heirate, erwarte ich schließlich auch, dass du kommst. Und da ist es mir dann auch herzlich egal, ob du ein paar Monate zuvor schon in Deutschland warst«, sagte ich mit gespielter Empörung. Wir mussten beide lachen.
Der Hochzeitsantrag und unser Telefonat mit meiner spontanen Zusage liegen schon neun Monate zurück. Doch nun ist mir plötzlich ganz unwohl, wenn ich an diese Hochzeit denke. Die weite Reise, fast ausschließlich fremde Gäste und dann auch noch ausgerechnet dieses Datum. Ganz zu schweigen von meiner katastrophalen Klimabilanz. Ich schäme mich für so viel von mir verursachtes CO ² . Ich bin ein großer Umweltfreund. Ich habe kein Auto, fahre immer mit dem Fahrrad. Ich trenne meinen Müll akribisch, ich benutze ausschließlich Energiesparlampen, und wenn ich einkaufen gehe, verzichte ich grundsätzlich auf diese erdölhaltigen Plastiktüten. Aber was nützt das alles, wenn ich ständig um den Erdball jette? Der Hauptgrund für mein Unwohlsein ist allerdings ein anderer. Es ist die Gewissheit, dass
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