Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
Heribert auch bei dieser Hochzeit fehlen wird.
Heribert verpasst natürlich viel, wenn er monatelang unterwegs ist. Auf seiner letzten Reise hat er die gesamte Fußball-WM verpasst, außerdem drei Hochzeiten, unseren Umzug, den 29. Geburtstag seiner Schwester und den 82. Geburtstag seines Vaters. Meinen Geburtstag hat er auch verpasst. Und das nicht zum ersten Mal.
Ich gehöre zu den Leuten, die sehr gern Geburtstag feiern. Ich liebe es, Geschenke zu bekommen, Blumen, Briefe, Postkarten und Anrufe. Ich freue mich wie ein kleines Kind auf den Tag, an dem ich im Mittelpunkt stehe und alle nett zu mir sind. Mit dieser Überdrehtheit kann ich meinem Umfeld ganz schön zusetzen. Auch Heribert findet mich an Geburtstagen noch viel anstrengender als sonst. Aber wenn er nicht da ist, ist mein Geburtstag nur halb so schön.
Ich kann mich noch genau an das erste Mal erinnern, als er bei meinem Geburtstag fehlte. Es war während seiner ersten Reise. Ich wohnte in Hamburg und wurde 23 Jahre alt. Heribert war schon mehr als zwei Monate unterwegs. Fast vier Monate sollten bis zu unserem Wiedersehen noch vergehen. Meike, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls ein Praktikum in Hamburg absolvierte, überredete mich, meinen Geburtstag trotzdem zu feiern. Und da dieser auf einen Sonntag fiel, beschlossen wir, reinzufeiern.
Meine Mitbewohner Ulf und Sandra waren da, außerdem die befreundete Nachbar-WG, mein Schulfreund Martin, der in Hamburg studierte und noch ein paar Kommilitonen mitbrachte, Meike, Laurent und fünf Mitpraktikanten aus der Redaktion, die ich erst seit kurzem kannte.
Da mein Mitbewohner Ulf ein begnadeter Koch ist, kümmerte er sich um das Essen für die Gäste. Es gab allerlei Suppen, Chili con Carne und jede Menge mit Käse überbackene Nachos. Dazu selbstgemachte Guacamole. Meike und ich trugen kistenweise Becks aus dem Supermarkt in die WG. Außerdem gab es Wein, Sekt und ein paar Softdrinks. Aber nicht zu viele, denn dafür war uns das Geld zu schade.
Es war ein schöner Abend, die Leute hielten sich in der Küche, im Flur und im Wohnzimmer auf. Sie unterhielten sich, ein paar hatten gerade angefangen zu tanzen. Auch ich amüsierte mich. Kurz vor Mitternacht vibrierte mein Telefon in der Hosentasche. Ich sah auf das Display. Es war Heribert, er wollte der erste Gratulant sein. Ich freute mich riesig, lief schnell in mein Zimmer und warf mich mit dem Telefon am Ohr aufs Bett. Heribert sagte, dass es ihm leidtue, nicht mit mir feiern zu können. Er rief mich über die Satellitenleitung an, er war irgendwo in der Nähe von Libyen, seine Stimme klang verzerrt und seltsam fremd. Plötzlich musste ich weinen und konnte nicht wieder aufhören. Meine Augen wurden rot, mein Gesicht schwoll an. Wir konnten kaum noch telefonieren, weil ich die ganze Zeit nur schluchzte. Vielleicht hätte ich nicht so viel trinken dürfen, dachte ich. In der Leitung knackte es. Vor der Tür fingen meine Gäste an, Happy Birthday zu singen. Sie riefen nach mir und klopften an die Tür. Ich hörte, wie Meike versuchte, die Leute vor der Tür zu vertreiben. »Lasst sie, sie telefoniert mit ihrem Freund«, rief sie. Heribert sagte, ich solle meine Gäste nicht länger warten lassen.
»Nein«, schluchzte ich ins Telefon.
»Es tut mir leid, dass ich angerufen habe«, sagte er. »Feiert noch schön.« Dann legte er auf.
Ich saß auf meinem Bett, Tränen liefen mir über die Wangen. Ich starrte auf das Display. Was war passiert? Warum war das Telefonat so zu Ende gegangen? Ich hoffte, er würde noch einmal anrufen. Aber das Telefon blieb stumm. Ich wartete noch ein paar Minuten. Am liebsten wäre ich einfach ins Bett gegangen, hätte mir die Decke über den Kopf gezogen und hemmungslos ins Kissen geweint. Aber das ging nicht. Ich atmete tief durch, trocknete meine Tränen und versuchte, tapfer zu lächeln, als ich wieder hinaus zu meiner Party ging.
Ein paar Stunden später, die Feier war längst vorbei, rief Heribert mich noch einmal an. Ich schlief bereits, wurde wach und ging ans Telefon. Aus dem Tiefschlaf gerissen, machte ich ihm Vorhaltungen. Ich sagte ihm, sein Berufswunsch sei egoistisch, so wolle ich nicht leben. Es war kein schönes Telefonat.
Am nächsten Morgen tat es mir leid. Ich konnte mich nicht mehr an alle Einzelheiten des Gespräches erinnern. Was hatte ich genau gesagt? Und warum? Ich konnte mir nicht erklären, was passiert war. Warum war ich so gemein zu ihm? Mir war doch klar, dass das sein Beruf war. Und mir war
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