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Seerache

Seerache

Titel: Seerache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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setzte sich Wolf in Bewegung.
    Inzwischen hatte er das Einsteigeprinzip des neuen Zeppelins durchschaut: Es kletterte jeweils einer der zurückgekehrten Fahrgäste aus der unter dem Luftschiff hängenden Kanzel, und ein neuer stieg zu. Offenbar war das Gleichgewicht der Riesenzigarre derart fragil, dass größere Gewichtsschwankungen unter allen Umständen vermieden werden mussten. Nicht gerade vertrauenerweckend, befand Wolf, doch nun gab es kein Zurück mehr.
    Ein Angestellter in schmucker Uniform half Wolf die wenigen Stufen hinauf, und schon war er im Inneren der Kanzel verschwunden. Erneut verließ einer der Ankömmlinge die Kabine, ehe die Reihe an Marsberg kam. Wenig später war der Passagierwechsel abgeschlossen. Der Angestellte zog die Treppe zurück, die Flugbegleiterin verriegelte die Tür – der Zeppelin war startbereit.
    Wolf hatte bis zuletzt mit sich gerungen. Wäre Marsberg nicht mit von der Partie gewesen, er hätte sich rechtzeitig verdünnisiert. Am Ende war ihm nichts anderes übrig geblieben, als zuzusteigen. Mehr stolpernd als gehend hatte er die Kabine durchquert und sich freudlos in einen Fenstersitz fallen lassen. Selbst als Marsberg ihm mit anerkennendem Nicken auf die Schulter geklopft und sich unmittelbar hinter ihm niedergelassen hatte, war das von Wolf nur teilnahmslos zur Kenntnis genommen worden. Irgendwann hatte er einen scheuen Blick durch das Seitenfenster geworfen und das geschäftige Treiben draußen verfolgt.
    Immerhin hatte er einen Sitz am Fenster ergattert! Wenn er schon dem eigenen Untergang beiwohnen musste, dann bitte schön auf einem Logenplatz.
    Umso größer war seine Enttäuschung, als er jetzt verstohlen durch den Innenraum blickte. Alle Sitze in der Kabine lagen ausnahmslos am Fenster. Irgendwie schade … so ein kleines Privileg hätte ihm gutgetan.
    Ein Lautsprecher knackte, und der Pilot meldete sich zu Wort. Er begrüßte zunächst die Passagiere, bevor er auf den Ablauf des Fluges einging. Aus begreiflichen Gründen hörte Wolf nur mit halbem Ohr zu. Voll banger Erwartung fieberte er dem Moment entgegen, in dem sich die Zigarre in die Luft erheben würde.
    Irgendwann riss ihn Marsberg aus seinem dumpfen Brüten. »Na, Leo, was meinst du, koppeln wir uns ausnahmsweise ab? Heut ist Samstag, da wird uns schon keiner in die Suppe spucken.«
    Wolf verstand nur Bahnhof. »Was meinst du mit abkoppeln?«, fragte er.
    »Hast du dem Piloten nicht zugehört? Wir sollen unsere Handys ausschalten. Die Dinger stören den Flugbetrieb.«
    »Ach das.« Ohne Widerrede kam Wolf der Aufforderung nach, bevor das Geschehen auf dem Vorfeld erneut seine Aufmerksamkeit fesselte.
    Zwischenzeitlich hatte sich das Luftschiff vom Haltemast gelöst. Wie von Geisterhand gezogen schwebte es senkrecht nach oben, bevor es langsam Fahrt aufnahm. Interessiert verfolgte Wolf das Startmanöver. Dabei machte er eine höchst überraschende Feststellung: Sein Unbehagen beim Blick in die Tiefe war wie weggeblasen. Wie war das möglich? Hatte er sich seine Flug- und Höhenangst all die Jahre über nur eingebildet? Seine letzte Flugreise fiel ihm wieder ein, nach Teneriffa, oder war es Lanzarote gewesen? Schon auf dem Hinflug war ihm schlecht geworden; die Turbulenzen auf dem Rückflug hatten ihm vollends den Rest gegeben. Zehn Jahre war das jetzt her. Seitdem war er nicht mehr geflogen.
    Der Zeppelin als therapeutisches Medium? Sah ganz so aus. Er musste mit Marsberg darüber reden, später, wenn sie wieder am Boden waren.
    Bald erreichte der Zeppelin die vorgeschriebene Flughöhe, gemächlich begann er, über Friedrichshafen hinwegzuziehen.
    Ganz schön groß, das Kaff, dachte Wolf erstaunt – er hatte die Stadt noch nie aus der Luft gesehen.
    Nach und nach ging die dichte Bebauung in offene Landschaft über, Wiesen, Felder und Wälder wechselten einander ab. Der Anblick erinnerte Wolf an einen gigantischen Flickenteppich. Dazwischen lagen immer wieder ausgedehnte Obstanlagen, die dank ihrer strengen Geometrie das scheinbare Chaos wohltuend ordneten.
    Dann rückte eine stark befahrene Straße ins Bild, die Bundesstraße 31, die wichtigste Verkehrsader entlang des nördlichen Bodensees. Allen Versprechungen der schwarzen Landesregierungen zum Trotz, den Verkehr über eine neu zu bauende Autobahn aus den Ortschaften herauszuhalten, führte sie bis heute mitten durch Friedrichshafen. Dabei war das Vorhaben alles andere als neu. Schon 1938 hatten die Nazis eine Bodenseeautobahn geplant. Leider war,

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