Seerache
›Bürgerbräu‹, ist dir das recht?«
»Passt. Sogar sehr gut. Meine Frau ist heute nämlich bei einem Klassentreffen. Ich hol dich gegen halb sieben ab.« Ohne eine Antwort abzuwarten, hob er die Hand und brauste davon.
Wolf blickte ihm noch kurz nach, dann griff er in die Tasche und zog seine Gitanes hervor. Mechanisch schüttelte er eine Zigarette aus der Packung und steckte sie an. Doch schon nach wenigen Zügen warf er sie auf den Boden und trat sie aus. Sie schmeckte nicht, ohne dass er hätte sagen können, warum. Entschlossen setzte er sich in Bewegung.
Der Strandweg im ruhigen Überlinger Osten verlief parallel zum Seeufer und führt vom Bahnübergang Mühlen-/Nußdorfer Straße bis nach Nußdorf hinaus. Zu beiden Seiten des Weges gab es, neben Freizeiteinrichtungen wie dem Strandbad Ost und dem Sportboothafen, eine Reihe exquisiter Wohnanlagen.
Das gesuchte Areal war nicht zu verfehlen. Schon von Weitem stach Wolf der Fahrzeugpulk ins Auge, darunter zwei Streifenwagen und ein Rettungsfahrzeug. Sprechfunk-Fetzen hallten zu ihm herüber, blinkendes Blaulicht zog sein Auge an. Das Haus war ihm nicht unbekannt, er war schon häufig daran vorbeigeradelt. Es handelte sich um einen dreistöckigen, futuristisch anmutenden Flachdachbau mit klar gegliederter weißer Außenfassade und groß dimensionierten Glasflächen, die Alu-Lamellen der Sonnenschutzjalousien gaben der Fassade einen Techno-Touch. Das obere Stockwerk war etwas zurückgesetzt, Wolf tippte auf eine attraktive Penthauswohnung. Den Zugang bewachte ein grimmig blickender Schutzpolizist. Wolf kannte den Mann, besann sich jedoch vergeblich auf seinen Namen.
Als er näher kam, legte der Uniformierte grüßend die Hand an die Mütze. Wolf nickte ihm freundlich zu. »Und, wo spielt die Musik?«, fragte er.
»Frau Louredo wartet oben im Penthaus auf Sie.«
Just in diesem Augenblick erschien die Genannte auf der Dachterrasse: Wolfs junge Kollegin Joanna Louredo, von den Kollegen in der Polizeidirektion kurz Jo genannt. »Bemühen Sie sich nicht, Chef, ich komme runter«, rief sie ihm zu. Wolf konnte sich vorstellen, wie erleichtert sie war, immerhin hatte sie geschlagene zwei Stunden allein die Stellung halten müssen.
Kurz darauf stand sie vor ihm, das Gesicht erhitzt, als wäre sie im Sturmschritt treppab gerannt. »Wie war Ihr Flug?«, fragte sie leicht außer Atem. Als käme er gerade aus Neuseeland zurück.
Wolf winkte ab. »Später. Habt ihr den Toten schon wegschaffen lassen?«
»Natürlich nicht. Der Mann liegt auf der Terrasse hinter dem Haus. Wenn Sie mitkommen wollen.«
Ein Weg aus unsymmetrisch gebrochenen Granitplatten führte um das Haus herum.
Jo ging voran. »Die Besitzer der beiden unteren Etagen sind derzeit nicht anwesend«, erklärte sie.
»Dann sind es Ferienwohnungen?«
»Korrekt.«
»Na toll.« Wolf blieb kurz stehen und nahm noch einmal das Bild der großzügigen Wohnanlage in sich auf. Grollend schüttelte er den Kopf. »So was kann sich unsereins nicht mal als Erstwohnsitz leisten, geschweige denn als Ferienwohnung.«
»Hab ich auch gedacht. Für so was haben wir eindeutig den falschen Beruf.«
»Oder die falschen Eltern.«
***
Ein Stück den Strandweg hinunter hatte sich ein unauffälliger schwarzer Volvo in eine Parklücke gezwängt. Die Insassen, zwei schwarz gekleidete Hünen mit blank rasierten Schädeln, suchten hinter heruntergeklappten Sonnenblenden vergeblich nach einer Erklärung für die flackernden Blaulichter vor ihnen.
»Verstehst du das, Igor?«, fragte der Glatzkopf hinter dem Steuer mit ungläubigem Gesichtsausdruck.
Igor war von dem Geschehen nicht minder geschockt. Im Gegenteil, von Minute zu Minute bekam er einen dickeren Hals, bald glich sein Gesicht einer reifen Tomate – bis er plötzlich nicht mehr an sich halten konnte und zum Telefon griff. »Dieses Schwein, dem werd ich’s zeigen«, presste er hervor.
Während er wartete, trommelte die Linke ungeduldig auf seinen Oberschenkel.
»Sag mal, Borowski«, bellte er mit Stentorstimme, kaum dass die Verbindung zustande gekommen war. »Was wird hier eigentlich gespielt, kannst du mir das mal erklären?« Während Igor im Umgang mit Delinquenten – so nannte er seine zahlungsunwillige Kundschaft – in stark slawisch gefärbtem Akzent zu parlieren pflegte, schaltete er bei Auftraggebern mühelos in astreines Schriftdeutsch um. Als waschechter Mecklenburger, obendrein Sohn eines Lehrers, fiel ihm das nicht schwer. Streng genommen war der
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