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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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würde es seine letzte Torheit sein. »Sie können doch etwas tun, Mayfare«, sagte er. Als der Mann eifrig nickte, hob der Admiral warnend die Hand. »Dazu müssen Sie eine sehr lange und komplizierte Botschaft auswendig lernen und sie einem Mann im Palast überbringen, dem Sie sich aus freien Stücken niemals zu erkennen geben würden …«

19
    Die Dächer des Pilotenpalastes waren in langen, steilen Bögen aus Schindeln und Blei übereinander gestaffelt, manche trugen Plattformen und Balkone vor sich her wie Kellner ihre Tabletts. Aus einiger Entfernung erinnerten sie an die sturmgepeitschten Wellen eines terrestrischen Meeres – nur waren sie in einen Ring von einem Kilometer Durchmesser gepackt. Sempeternas Palast war ein Habitatrad, das allerdings fast ausschließlich mit einem einzigen Gebäude mit vielen Terrassen und vielen Dächern bedeckt war. Dutzende von Fahrstuhlschächten durchzogen kreuz und quer das leere Innere des Rings, und an der Rotationsachse befanden sich die üblichen Anlegestellen für Regierungs- und Vergnügungsschiffe.
    Noch etwas glitzerte und drehte sich in der Zone des freien Falls wie eine Goldpraline. Sempeterna hatte Jahre zuvor ein großes Schwimmbad in Auftrag gegeben, das in der ganzen Welt nicht seinesgleichen haben sollte. Die Neuerung lag nicht in der Tatsache, dass es schwerelos war – Wasser bei Nullschwerkraft war in Virga eher die Regel als die Ausnahme. Nein, was diesen Raum einmalig machte, war die Form des Wassers.
    Antaea hatte schon etliche Minuten lang gespürt, wie ihr Gewicht immer mehr schwand, je weiter die Fahrstuhlkabine
nach oben stieg. Als sie anhielt, schnellten sie und ihre Bewacher sich hinaus in einen sechseckigen Gang an der Rotationsachse. Aus reich verzierten Fenstern hatte man einen Blick auf die Stadt und das Rad, das sich pompös um sie herum drehte. »Hier entlang, bitte«, forderte einer der Gardisten sie auf.
    Die Korridore waren mit rotem Samt ausgeschlagen und mit zahlreichen Zugschnüren und Seilen versehen. Dank der dicken Polsterung konnte man wie der Blitz durch solche Gänge sausen; Antaeas Begleiter bevorzugten ein langsames, bedächtiges Gleiten, so dass der Piloten-Pool hinter seinem Eingang, der wie ein offener Mund geformt war, in seiner ganzen Pracht nur langsam sichtbar wurde.
    Das Gebäude selbst war eine Glasknolle, etwa zwiebelförmig, mit goldglänzenden Rippen. Die langen Spitztürme an den Enden waren nach vorne auf die Stadt und nach hinten auf die Achse und zu den Anlegestellen gerichtet. Verschiedene Umkleideräume und Trocknungsnester hingen wie Kokons an den Rippen.
    Im Zentrum der Knolle hing eine gigantische Wasserkugel, die ihrerseits zahlreiche mannsgroße Blasen enthielt. Einige davon waren mit Barschränken und anderem Luxus ausgestattet. Man konnte durch die Kugel schwimmen, den Kopf in eine solche Blase stecken, um sich mit Freunden zu unterhalten, und sich dabei einen guten Likör munden lassen. Antaea musste an die Blase denken, die sie und Chaison nach Songlys Zerstörung in der Flut gefunden hatten.
    Das Schwimmbecken selbst war in keiner Weise außergewöhnlich. Aber ringsum waren Dutzende von funkelnden, durchsichtigen Skulpturen aufgereiht – Delfine,
Wale, Vögel und sogar Menschen –, die kleinste nur dreißig Zentimeter groß, die größte mehr als sechs Meter. Sie bestanden aus Wasser, das von kunstfertiger Hand mit nahezu unsichtbaren Netzen aus gewachsten Haaren in die gewünschte Form gebracht worden war. Die fertigen Werke prangten auf Sockeln aus Goldfiligran. Das Medium dieser Kunstform war die Oberflächenspannung des Wassers.
    Antaea hatte gehört, dass Sempeterna bei seinem morgendlichen Training gern in diese Tiere hinein und um sie herum schwamm. Er tauchte etwa in einen Fischadler oder einen Hai ein, bis dessen Flanken erbebten und sich aus ihren zarten Käfigen lösten; oder er glitt wie ein Fisch von einem Ende des durchsichtigen Tieres zum anderen, tauchte spritzend wieder auf und schoss auf das nächste zu, während das erste entweder zu zahllosen Tropfen zersprang oder langsam in seine fantastische Form zurückkehrte.
    Antaea hatte wenig Muße, dieses Schauspiel zu bestaunen. Man führte sie rasch zum stadtwärtigen Ende, wo sich der Bau allmählich verjüngte. Am Ausgang des Flaschenhalses war eine Glastür geöffnet worden. Draußen wartete eine

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