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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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wollte er in einer gemeinsamen Aktion mit den Falken die Gretel einschüchtern, ohne dass es dabei zu einer echten Eroberung oder einem dauerhaften Bündnis gekommen wäre. Vielleicht war Chaisons Sturz bei dieser Gelegenheit nicht vorgesehen gewesen, aber er hatte sich selbst zu einem leichten Ziel gemacht.
    Chaison Fanning hatte sich stets für einen Realisten gehalten. Jetzt wurde ihm allmählich klar, was er doch für ein Träumer gewesen war.
    Â 
    Die fernen Sonnen schalteten sich bereits ab, und der Himmel färbte sich lila und bernsteingelb, als Antaeas unbequemer Admiral endlich in das Zirkuswohnheim stolperte. Antaea hatte dafür gesorgt, dass sie zusammen in einem Zimmer untergebracht wurden – sie hatte den selbsternannten Hausmeister mit einem vernichtenden Blick durchbohrt, als er Widerspruch einlegte –, und erwartete ihn bereits. Sie hatte sogar Zeit für zwei Stunden Schlaf gefunden, war aber aus Angst, er könnte sie überraschen, immer wieder aufgewacht. Deshalb, und weil ihr seine Worte im Anschluss an die lächerliche, an eine Erweckungsveranstaltung erinnernde Aufnahme in Corbus’ Verteidigungsbündnis nicht aus dem Kopf gehen wollten. Chaison hatte geredet wie einer der Helden aus den Märchenbüchern, die sie einst Telen (und sich selbst) vorgelesen hatte. Sie hatte nie geglaubt, dass solche Helden im wirklichen Leben existierten, aber manchmal konnte man auch in Wunschträumen schwelgen. Und nun war er da, der edle Admiral, der sich opferte, um eine Stadt zu retten. Es war
romantisch, es war lächerlich, und es war zutiefst verwirrend.
    Da Corbus’ Verteidigungsbündnis erst wenige Stunden alt war, konnte Chaison eigentlich noch gar nicht erfahren haben, wo sein Schlafplatz war. So war Antaea überrascht, aber auch erleichtert, als er die schmale Treppe in der kleinen Zentrifuge herunterstieg und mitten im Wohnraum stehen blieb. Er wirkte benommen.
    Â»Nun«, begrüßte sie ihn munter, »wie war dein Tag?« Sie hatte sich umgezogen und trug nun eine schwarze Seidenrobe, die mit langhalsigen Vögeln bestickt war. Er rieb sich die Stirn und schien weder ihre Ironie noch ihre Kleidung zu bemerken.
    Â»Das wird eine Katastrophe. Ich habe versucht, sie zu einem Scheinmanöver zu überreden – eine glaubwürdige Verteidigung, um dann bessere Bedingungen für eine Kapitulation auszuhandeln. Aber sie wollen kämpfen. Ich begreife nicht, warum sie darauf bestehen – auf diese Weise verlieren sie nur noch mehr.«
    Â»Ich kann sie schon verstehen«, sagte Antaea. Sie stand auf und spürte, wie verschiedene Körperteile von den Coriolis- und den Zentrifugalkräften des Wohnheimzylinders in verschiedene Richtungen gezogen wurden. Fanning ließ sich auf eine Couch unter zwei riesigen gekreuzten Zirkusspeeren fallen, und sie setzte sich auf die gelb-rote, mit Sternen geschmückte und mit Decken verhüllte Trommel, die als zweite Sitzgelegenheit diente. »Du müsstest nur einige Zeit draußen auf den Straßen verbringen. Dann würdest du sehen, was ich meine.«
    Er verzog das Gesicht. »Ich war eine Weile draußen. Die Stadt ist schön, das ist wahr. Ich bin nicht einmal
sicher, ob die Gretel sie zerschlagen würden. Genau auf eine solche Trophäe haben sie es doch abgesehen.«
    Â»Ich rede nicht von der Schönheit«, widersprach sie. »Ich denke an Corbus und seine Freiwilligen. Ein selbsternannter Bürgermeister, Kriegsveteranen, deren Ruhm längst verblasst ist – lauter unerwartete Helden, die gestern noch, nun ja, Clowns und Dienstboten waren. Sie alle durften einen kurzen Blick in eine neue Welt werfen, in der sie selbst Herr über ihr Schicksal sind, und nun kommen die Gretel daher und nehmen ihnen alles wieder weg. Deshalb wollen sie kämpfen. «
    Â»Das ist Wahnsinn!« Chaison schüttelte den Kopf. »Wenn sie die Gretel zurückschlagen, kommen binnen einer Woche die Bullen zurück, und sie sind wieder da, wo sie angefangen haben. Sie haben nur die Wahl zwischen den Falken und den Gretel.«
    Â»Ich glaube nicht, dass sie das so sehen«, überlegte Antaea und starrte aus dem Fenster mit der ständig wechselnden Aussicht auf die fernen Lichter der Stadt. »Ich bin auch nicht unbedingt deiner Meinung.«
    Er schien überrascht. »Dann bist du eine größere Idealistin, als ich dachte.«
    Â»Idealistin? Man braucht keine

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