Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
Vom Netzwerk:
den Namen seines Peinigers hörte, war viel von der Genugtuung verflogen, die er sonst über dessen Tod empfunden hätte.
    Der Peiniger war kein Monster mehr, sondern ein Mensch. Der tote Kyseman drehte sich in der Luft und schien Chaison ein letztes Mal höhnisch anzugrinsen. Der Admiral wandte sich ab und trat hinaus auf den Korridor, der sich langsam immer schräger legte.
    Â 
    Ketten scharrten über den Stein und lösten sich mit einem letzten Ruck. Das rotierende Gefängnis zerfiel mit großer Geste: Zuerst streckte sich der krakelige Andockarm nach draußen und griff mit seinen Pfeilern nach den Wolken, bevor er sich vollends frei machte und davonsegelte; dann rissen sich Hunderte von Fässern und Kisten los, die nur mit einer einfachen Schnur neben dem Personaleingang festgebunden gewesen waren, und schwebten nach allen Seiten davon. Zwei krachten genau in dem Moment in den Katamaran des Gefängnisdirektors, als eine Horde aufgebrachter
Wärter an Bord gehen wollte. Ein Fass zerschmetterte die Frontscheibe, das zweite schlug ein Triebwerk ab.
    Chaison Fanning hörte ein Rattern wie von Maschinengewehrfeuer und zuckte zusammen. Es schien von allen Seiten zu kommen, begann am anderen Ende des Gebäudes und raste durch die Wände auf ihn zu. Verursacht wurde es von Nägeln, die aus Holz und Zement herausplatzten. Der ganze Komplex ächzte und knirschte wie ein fieberkranker Riese, und als Chaison sich durch den sechseckigen Korridor schnellte, konnte er mit ansehen, wie der sich verformte. Er kannte in diesen anstaltsgrün gestrichenen Gängen jede Biegung und jede Gerade, doch der Gedanke, auf diesem Weg in seine Zelle zurückkehren zu müssen, machte ihm Angst. Nur die berauschende Aussicht auf eine mögliche Flucht verlieh ihm die Kraft, zu klettern, sich festzuhalten und zu drehen, wieder hinunterzusteigen, sich abermals festzuhalten und mit einem Satz sechs Meter Luftraum bis zum nächsten Kreuzungspunkt zu überwinden. Die Zentrifugalkraft war schwach, aber sie lag über Null, und er lebte nun schon seit Monaten ausschließlich unter Schwerelosigkeit. Er hatte zwar jeden Tag eisern trainiert, soweit die karge Ernährung es zuließ, dennoch würde er diese Anstrengungen nicht lange durchhalten können.
    Sein kleiner Zellenblock war etwas solider gebaut als der Rest des Komplexes. Hier gab der Stein keine Geräusche von sich, nur die kreisförmige Gewichtsverlagerung wies darauf hin, dass etwas nicht stimmte. Chaison bog mit einem weiteren Sprung um die nächste Ecke – und prallte mit voller Wucht gegen einen fettleibigen
Wärter, der Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten.
    Der Wärter stammelte vor Aufregung und brachte endlich das Wort »F-frei!« heraus. Im gleichen Augenblick wurde die Wand in seinem Rücken zum Fußboden. Er wedelte mit den Armen und setzte sich hin.
    Â»Ich brauche die Schlüssel«, sagte Chaison und beugte sich über ihn. Der Wärter hieb mit seinem Schlagstock wild um sich und traf den Admiral am Ellbogen. Der zischte vor Schmerz und sprang zurück.
    Â»Hilfe!« Der Wärter rappelte sich auf, schwebte aber weiter in die Höhe, als sich der Zellenblock krachend und knirschend vom Rest des Gefängnisses losriss. Plötzlich strömte Tageslicht herein.
    Chaison warf sich auf den völlig verdutzten Mann und schaffte es, ihm den Schlagstock zu entreißen. Er fasste ihn mit beiden Händen und schmetterte damit den Kopf seines Gegners gegen die Wand. Der Wärter sackte stöhnend zusammen.
    Â»He! Was geht hier vor?« Im Sonnenlicht zeichneten sich zwei weitere Gestalten ab. Sie waren mit Schwertern bewaffnet.
    Chaison schnappte sich die Schlüssel des Wärters und sprang davon. Die beiden anderen folgten ihm laut rufend.
    Seit sich der Zellenblock von den übrigen Gebäuden getrennt hatte, herrschte wieder Schwerelosigkeit. Das hätten die Wärter zu ihrem Vorteil nützen können, doch nun drangen aus allen Zellen erregte und erboste Stimmen, und angesichts dieses Höllenlärms hielten sie inne. Chaison schaffte es bis zu den Türen. Er fand die Zelle, die er gesucht hatte, rammte den Hauptschlüssel
ins Schloss und drehte ihn mit aller Kraft. Die Tür flog auf, bevor er beiseite springen konnte, und jemand kam in den Korridor geschossen. Chaison warf der schmalen Gestalt, die eben die Zelle verlassen hatte, die Schlüssel zu und trat

Weitere Kostenlose Bücher