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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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größere Menschenmenge. »Bitte weiter«, befahl der Mann hinter ihr. Antaea gehorchte und fand sich in schwindelnder Höhe rittlings auf einer goldenen Fahnenstange wieder, die fünfzehn Meter weit über die Spitze der Glaszwiebel hinausragte.
    Hier schwebte Sempeterna mit schlaffen Gliedern hinter einer (vermutlich kugelsicheren) Glaswand. Seine Leibwächter hatten sich in Sternformation, die Füße ihm zugewandt, Köpfe und Waffen nach außen gerichtet,
ringsum in der Luft postiert. Im Innern des Sterns befanden sich verschiedene Höflinge, Techniker, ein Chauffeur mit einem Bike im Leerlauf, ein Chefkoch mit einem Korb voller Konfekt, zwei Ärzte, der Palast-Archivar mit zwei Schreibern, Kestrel und, von einem Stoffparavent abgeschirmt, Chaison Fanning.
    Der drehte sich um und erblickte sie. Antaea zuckte zusammen und wandte den Blick ab, bevor sie sehen konnte, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte. Sie wollte es nicht wissen.
    Die Stadt Rush lieferte die Kulisse. Von vier ungeheuren Quartetten aus majestätisch rotierenden Habitaträdern flatterten bunte Fahnen in der stürmischen Mittagsluft; hinter dem Schwarm aus vorgelagerten Gebäuden erhob sich der Asteroid wie ein bewaldeter Wal und zog Wolkenbänder hinter sich her. Und dahinter? Weißglut: die unbewohnbare Region um Slipstreams Fusionssonne, deren grelles Licht alle Einzelheiten auslöschte.
    Der Pilot schwadronierte über irgendein Thema, während ihm ein Schneider seinen lindgrünen Anzug anpasste. Ein Fotograf schaute mit einem Auge durch die Linse, um die Szene festzuhalten. Das einzige Element, das nicht in die Szene passte, war ein Raketenwerfer mit Schulterstütze, der neben Sempeternas Füßen schwebte.
    Wenn sie den Palast betrachtete, brauchte sie nicht mehr in Chaisons Richtung zu blicken. Das Palastrad drehte sich langsam um das Schwimmbad herum. Um nicht denken zu müssen, flüchtete sich Antaea ins Zählen und ermittelte die Rotationsgeschwindigkeit: etwa eine Drehung pro Minute. Von hier aus konnte sie natürlich
nur Dächer und Gärten sehen – mit einer Ausnahme. Der Tiefenschwärmer zog bei zwölf Uhr vorbei und strebte auf zwei Uhr zu, bevor sie ihn fand, aber als sie ihn einmal entdeckt hatte, war er nicht mehr zu verlieren. Unter seinen Gliedmaßen aus massivem Silber war das Dach über der Empfangshalle teilweise eingebrochen. Antaea hatte ihn kaum ausfindig gemacht, als auch schon wieder einige Schieferplatten die Dachschräge hinabrutschten und im freien Fall tangential zum Rad davonhüpften.
    Ein greller Blitz zuckte auf. Antaea drehte sich um und sah, wie der Pilot sich aufrichtete. Jetzt hielt er den Raketenwerfer in Händen. Er entließ den Fotografen mit einer lässigen Handbewegung und wandte sich dem kleinen Gefolge zu, das wie ein Vogelschwarm hinter ihm hockte.
    Â»Ich werde auf das Monster schießen. Dabei wird es eine gewaltige Explosion geben, also bitte festhalten. Kestrel hat freundlicherweise ein paar … zusätzliche Sprengladungen unter dem Dach angebracht. Unterhalb des Monsters, wohlgemerkt. Es wird in die Luft geschleudert und dann vom Feuer des Rests unseres Teams weggeputzt werden.« Er deutete auf den Palast. Antaea sah noch einmal hin, konnte aber auf den Dächern niemanden entdecken. Saßen die Schützen des Piloten etwa in den Fenstern?
    Â»Nachdem die Bestie erledigt ist, werden wir Admiral Fanning der Menge präsentieren«, fuhr Sempeterna fort. »Wir werden die Reaktion beobachten und danach entscheiden, ob ich Fanning gleich hier erschieße oder ihn drinnen vor ein Kriegsgericht stelle. Alles klar? Alles bereit?«

    Kestrel zog sich Hand über Hand die Fahnenstange entlang. Seine Miene war verbissen. Neben Antaea hielt er kurz inne. »Ich habe im Eingangsbereich einen gemeinsamen Freund getroffen«, sagte er. Dann setzte er seinen Weg fort.
    Er steuerte auf den schwer bewachten Chaison Fanning zu. Antaea sah ihm verblüfft nach.
    Hinter ihnen bereitete sich der Pilot auf seinen Schuss vor.
    Â 
    Antaea wollte ihn nicht ansehen, und das fand Chaison verdammt ärgerlich, denn gerade jetzt wäre es wichtig gewesen, dass sie auf ihn achtete. Der Pilot setzte sich den Raketenwerfer auf die Schulter und schaukelte ihn sachte hin und her, um ein Gefühl für seine Masse zu bekommen. Alle Augen waren auf ihn gerichtet – bis auf die von Antonin Kestrel. Der

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