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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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und bei den meisten Zuschauern sorgte allein der Reiz des Neuen für zusätzlichen Nervenkitzel.
    Nun öffnete sich in der Seite der Kugel eine Klappe, und die Scheinwerferstrahlen glitten dorthin. Ein kahlköpfiger Mann kletterte auf das Korbgeflecht. Er mahnte mit beiden Händen zur Ruhe, Jubelrufe brandeten auf, und das allgemeine Chaos legte sich ein wenig, doch an einigen Stellen wurden die Sprechchöre fortgesetzt. Er wartete einen Moment, dann reckte er verärgert die Arme in die Luft und verschwand wieder in der Luke.
    Es war ein merkwürdiger Mann gewesen, klein und gedrungen auf eine Art, wie Antaea es noch nie gesehen hatte. Üblich war eher das Gegenteil, Menschen, deren Gliedmaßen durch das Leben bei niedriger Schwerkraft
und im freien Fall fast spinnenhaft in die Länge gezogen waren. Dieser Körperbau weckte jedoch eine Erinnerung in ihr.
    Sekunden später ging die Klappe erneut auf, und der Mann kam abermals zum Vorschein, doch trug er jetzt einen komischen Kittel mit schwarzen und gelben Streifen. Jubel brandete auf, so laut, dass die Arena erzitterte und die straff gespannten Seile in Schwingungen versetzt wurden. Abermals verlangte er mit erhobenen Händen Ruhe, und diesmal gehorchte die Menge widerwillig.
    Er wartete, bis der Lärm sich gelegt hatte, dann wartete er noch etwas länger. Antaea hatte geglaubt, es sei Ruhe eingekehrt, doch jetzt wurde es noch stiller. Der Mann wartete so lange, bis diese Stille ebenso greifbar und gewaltig wurde wie Minuten zuvor das Gebrüll.
    Â»Was wollt ihr hier?« Die Worte waren erschreckend, weil Antaea sie hinter sich hörte, obwohl sie unmittelbar zuvor gesehen hatte, wie sich Corbus’ Mund bewegte. Sie erkannte, dass durch die Akustik der Schüssel der Schall zu den Seilen zurückgeworfen wurde. So war der Mann deutlich zu verstehen.
    Â»Was wollt ihr hier?«, fragte er noch einmal. Seine Stimme war sehr tief und rau, ein krasser Gegensatz zu seinem Clownsgewand. »Ihr seid hier nicht sicher. Ich flehe euch an, kehrt in eure Häuser zurück und beschützt eure Kinder. Hier habt ihr nichts verloren.« Er wandte sich zum Gehen, doch da ging eine Welle von Lärm durch die Menge, ein wildes Zischen, bei dem Antaea ein Kribbeln im Nacken spürte. Es ließ Corbus innehalten, der schon halb in der Luke verschwunden
war. Er wandte sich der Menge zu, und obwohl er zu weit entfernt war, um ihn deutlich sehen zu können, war Antaea überzeugt, dass er zutiefst verängstigt war.
    Er trat wieder auf das Korbgeflecht und hob flehentlich die Hände. »Ich bitte euch! Wir sind in einer ausweglosen Lage. Stonecloud wurde von den Gretel isoliert, und unsere eigenen Streitkräfte haben uns im Stich gelassen. Was sollen wir tun?«
    Â»Kämpfen!«, rief eine Stimme. Aus der Menge kam ein zustimmendes Grollen.
    Corbus schüttelte den Kopf. »Wie denn? Das ist doch Wahnsinn! Wo ist unser Heer? Sollen wir die Gretel mit bloßen Händen zurückschlagen?«
    Â»Du bist ein Atlas!«, rief ein Mann. Es dauerte einen Moment, bis Antaea das Wort zuordnen konnte; doch dann zwinkerte sie überrascht.
    Atlanten waren ein Mythos, jedenfalls hatte sie das bisher gedacht. (Ha!, lachte ein Stimmchen in ihrem Kopf, du hast auch die Tiefenschwärmer für einen Mythos gehalten, ebenso wie die Tore Virgas und …) Als kleines Mädchen hatte sie von Nationen gehört, die besondere Habitaträder mit sehr viel höherer Schwerkraft als gewöhnlich bauten – angeblich wurden Werte bis zu drei Ge erreicht. Auf diesen Rädern wurden Kinder großgezogen und zu Soldaten ausgebildet. Sie besaßen Titanenkräfte und eine unerschöpfliche Ausdauer, so dass sie praktisch nicht aufzuhalten waren, wenn man sie im freien Fall auf einen Feind hetzte. Atlanten waren angeblich klein und gedrungen, wahre Muskelpakete mit mächtigem Stiernacken.
    Corbus winkte wieder. »Ich bin doch nur ein Artist«, rief er. »Ein Possenreißer. Was aus mir hätte werden
können … das spielt jetzt keine Rolle mehr. In wenigen Tagen, vielleicht schon in ein paar Stunden sind die Gretel hier. Was soll ich eurer Meinung nach tun?«
    Â»Kämpfen!«, rief jemand. Der Schrei wurde von vielen Stimmen aufgenommen. Corbus winkte verzweifelt ab.
    Â»Gegen wen?«, rief er. »Sie hetzen eine ganze Stadt auf uns. Flotten kämpfen! Keine Städte! Keine Menschen. Die Bewohner von

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